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sven1421

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Samstag, 10. November 2012, 20:50

Gleich im Doppelpack findet hier nun der Flitterwochenaufenthalt in der bayrischen Hauptstadt seinen turbulenten Abschluß, bei dem unsere Frischvermählten samt ihrem Münchner Anhang auf vielfältigste Art und Weise einen Höhepunkt nach dem andern erleben.

INSPEKTOR SVENSSON: FLITTERWOCHEN-TAGEBUCH
Eintrag 8


25. September 2009. München - Tag 2. Fünfter Akt.

Im öffentlichen Münchner Untergrund bahnten wir uns im Folgenden unter der ortskundigen Führung der Käslers den Weg zur Station "Theresienwiese", wo uns nach erfolgreichem Wiederaufstieg über einige Treppenstufen bei der Rückkehr ans Tageslicht bereits eine deutlich zu vernehmende, zünftige Blasmusik-Geräuschkulisse empfing. Ihrem Ursprung gingen wir nach und durchschritten binnen weniger Minuten einen großen, grünen Torbogen, auf dem das schwarzgelb ummantelte Münchner Kindl aus dem Stadtwappen seine weitgeöffneten Arme gleichsam schützend wie segnend über uns ausbreitete. Und ein direkt darunter angebrachtes großes weißblaues Schild verkündete einladend: "Willkommen zum Oktoberfest".

Auf dem dahinterliegenden geradezu riesig anmutenden Festgelände herrschte unterdessen emsige Betriebsamkeit. Dichtgedrängt bewegte sich zwischen den zahlreichen, am Rande der breiten Wege aufgestellten Buden und Zelten ein zigtausendköpfiges buntgemischtes Menschenvölkchen unermüdlich kreuz und quer von einer festlichen Attraktion zur nächsten. Das Ganze erinnerte mich dabei allein vom Gewusel her unweigerlich an einen Ameisenhaufen, in dessen geschäftiges Treiben nun auch wir - angespornt einerseits von Annemarie Septus' aufmunterndem Augenzwinkern und zum andern vom ungestümen Drängeln ständig nachrückender Gäste - langsam einzutauchen begannen. Meine Yelena und ich aber behielten uns dabei fest an der Hand wie auch im Auge, damit wir einander im Menschengetümmel letztendlich nicht doch noch verlieren würden. Derart untrennbar miteinander verbunden folgten wir nunmehr der rüstigen Annemarie - im Schlepptau Mutter und Tochter Käsler, die in meinen Augen ihrer junggebliebenen Art und dem Aussehen nach übrigens auch gut und gern als die Käslerzwillinge hätten durchgehen können. Unsere fesche Frontfrau erläuterte uns dabei - tapfer gegen den hohen Geräuschpegel der Blasmusik und der uns umgebenden Leute ankämpfend - in ein paar kurzen Sätzen die Entstehungsgeschichte des Münchner Oktoberfests: "Die Theresienwiese, auf der wir uns hier befinden, wurde seinerzeit nach der Gemahlin des bayerischen Kronprinzen und späteren Königs Ludwig I., Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen, benannt. Zum Abschluß der tagelang andauernden Hochzeitsfeierlichkeiten zu Ehren des jungen Prinzenpaares wurde nämlich am 17. Oktober 1810 hier vor Ort ein großes Pferderennen veranstaltet, wobei der Kutscher Franz Baumgartner als Sieger hervorging. Aus der Entscheidung, das Rennen in den folgenden Jahren zu wiederholen, entstand dann die Tradition unseres heutigen Oktoberfestes. Im Jahre 1811 gesellte sich dabei zum Pferderennen noch ein Landwirtschaftsfest dazu, und 1818 wurden auf der Wiesn erste Schaukeln und Karussells aufgestellt. Ab 1896 gab es hier dann auch bereits die ersten großen Bierzelte". Und aus dem Hintergrund ergänzte Frau Käsler senior: "Jo mei, und nächstes Jahr feiert de Wiesn dann scho ihr 200jährigs".

Aufmerksam lauschten Yelena und ich den Ausführungen der einheimischen Damenriege, während wir unsere staunenden Blicke zugleich ohne Unterlaß von rechts nach links schweifen ließen, wo sich kleine Buden und große Fahrgeschäfte unaufhörlich abwechselten. In Höhe eines Büdchens klatschte mit einem Male Sandra Käslers Hand unvermittelt und ausgesprochen geräuschvoll auf meine nunmehr krachledern umhüllte linke Gesäßhälfte. Yelena wie auch ich selbst ließen nahezu zeitgleich unsere Köpfe nach hinten schnellen und schauten dort in ein leicht gerötet zu Boden blickendes und dabei dennoch irgendwie verschmitzt lächelndes Frauengesicht, dessen Besitzerin mit weit ausgestrecktem rechten Arm kleinlaut erklärte: "Entschuldigt bitte, aber ich bin nur der Anweisung auf dem Schild da gefolgt". Erneut rissen Yelena und ich unsere Häupter fast im selben Moment herum und starrten auf eine hoch aufragende Eisenschienenkonstruktion, an deren oberen Ende ein kleine Tafel schwarz auf weiß verkündete: "Hau den Lukas!". An der Stelle aber, wo jenes Schienengestell samt dem daran beweglich angebrachten Metallkörper den Erdboden berührte, stand ein breitschultriger Lederhosenträger mit einem großen, schweren Eisenhammer in der Hand und lud uns ein: "Kommens nur, die Herrschaften, und laßts uns schaun, wer von eich zwoa zum stärkern G'schlecht g'hörn tuat". Nun, da ließen weder Yelena noch ich uns zweimal bitten. Wir traten ein paar Schritte näher zu dem jungen Mann heran, der gegen vorherige Entrichtung dreier Fünfzigcentstücke sein großes Gerät auch sofort meiner Gattin entgegensteckte und sprach: "Lädies först!". Ein wenig zögerlich nahm Yelena den Hammer entgegen und holte nach kurzer Anleitung zu dessen fachgerechter Handhabung extraweit aus, um dann mit voller Wucht auf das kreisrunde Plättchen in Bodennähe einzuschlagen. Der bislang ruhig im Schienenstrang lagernde Metallkörper sauste senkrecht nach oben und schlug dabei auf dem Höhepunkt seines raketenartigen Aufstiegs an die am oberen Ende befestigte Kuhglocke, welche in mehrfach lieblich verzücktem Bimmeln erschaudernd auf die intensive Berührung durch den stählernen Körper ihres stürmischen Besuchers reagierte. Der aber hatte seinen kurzen Höhenflug längst wieder beendet und war unumwunden zum Fußende des Schienenstrangs zurückgekehrt, wo sein geschäftiger Streckenwächter gerade anerkennend den rechten Daumen hochriß und dazu in Richtung Yelena verlautbarte: "Reschpekt, Madl! Des host fei sauber hin griagt! Schau mer moi, ob der Herr G'mahl des a so guat hi bringt!". Mit diesen Worten überreichte er mir den Hammer, den ihm meine nun über beide Bäckchen strahlende Yelena gerade erst zurücküberantwortet hatte. Auch ich holte daraufhin aus und ließ den gußeisernen Hammerkopf durch die Luft auf das dafür vorgesehenen Metallplättchen niederrauschen. Erneut schickte sich der dabei vom behämmerten Plättchen angestoßene Metallkörper zur himmlischen Auffahrt an, bremste aber im oberen Drittel plötzlich ab und kehrte von dortaus unverrichteter Dinge um. Ein Schulterzucken meinerseits begleitete den eisernen Verweigerer auf seinem raschen Abstieg, wozu dessen kräftiggebauter Besitzer tröstend anmerkte: "Jo mei, zum Glöckner hots hoit desmoi net g'reicht. Aber wer braucht scho an Buckel, wenn er a so a fesches Frauenzimmer abschleppa ko, gell?!". Ich bekräftigte meine Zustimmung zu seiner weisen Feststellung kurzerhand mit einem Busserl - dessen dankbarer Empfänger freilich nicht er, sondern meine Yelena war. Dem Hammermann selber drückte ich im Anschluß mit einem abschließenden extrakräftigen Handedruck neben der sowieso fälligen Einsfünfzig noch einen Extra-Euro Trinkgeld in die Hand. Dann zogen wir weiter.

Wieder ging es an unzähligen Schaubuden, einer Achterbahn, einem Autoscooter und sogar an einem Riesenrad vorbei, bis schließlich eine kleine unscheinbare Holzbude samt zweigeteilten weinroten Samtvorhang mit einem Male Yelenas ungeteilte Aufmerksamkeit erweckte. Geradezu wie ein kleines Kind gebärdete sie sich, als sie mich immer wieder am Ärmel meiner Trachtenjacke zu ziehen begann und dazu ganz aufgeregt losstammelte: "Luki, Luki! Du schnell gucken! Kukla Petruschka!". Ein wenig entgeistert schaute ich erst zu ihr, dann aber nur umso begeisterter in ihre Blickrichtung. Und sogleich erwachte auch in mir altem Manne das Kind, welches lautstark ausrief: "Oh ja! Wie schön! Ein Puppentheater!". Wir zwei Kindsköpfe müssen die Käslers nebst Annemarie in diesem Moment wohl mit derart großen leuchtenden Kulleraugen angeschaut haben, wie es Sechsjährige zu tun pflegen, wenn sie ihre Eltern um einen riesengroßen Gefallen bitten wollen, denn nachdem sich ihre kurzfristig aufgetretene verblüffte Erstarrung gelöst hatte, streichelte Frau Septus uns Beiden zärtlich über die Haare und flüsterte: "Schon gut, ihr Zwei! Wir verweilen noch ein wenig, damit wir uns das ganze Theater hier einmal aus der Nähe betrachten können". Daß auch ihre Augen dabei ein wenig zu strahlen begannen, ist allerdings wohl nur mir aufgefallen.

Es dauerte im weiteren Verlauf keine Minute, dann wurde der samtige Vorhang langsam aufgezogen. Von unten her tauchte sogleich eine holzköpfige Handpuppe mit dem Gesicht eines kleinen Buben auf und sprach, an sein zahlreich versammeltes Publikum gerichtet: "Grias Gott, liabe Leit! Ich bin der Seppl! Und ich möcht Euch heute von meiner Reise ins himmlische Paradies berichten, wo meine liebste Gretl lebt, seit sie hier unten verschieden ist". Im linken oberen Eck der Bühne kam im selben Moment ein Wattewölkchen an zwei dünnen Fäden hereingeflattert, auf dem eine weitere Püppi mit blonden Zöpfen im langen weißen Kleidchen hockte, zu der die Sepplfigur nun sehnsuchtsvoll aufschaute und seufzte. Erst als die personenbezogene Wolke wieder von der Bildfläche entschwebte, senkte sich der Blick des bübischen Holzkopfs wieder, und mit trauriger Stimme verlautbarte er: "Bis ich die Gretl freilich wieder auf den ... äh, in den ... Arm nehmen kann, das wird noch ein recht schauriger und strapaziöser Höllentrip werden, liabe Leit, das sag ich Euch! Und weil man so eine lange Reise nicht gern allein unternimmt, möcht auch ich dabei einen Begleiter an meiner Seite haben. Einen alten Freund, der mir schon in so mancher schweren Stunde mit Rat und Tat beistand und den weder Tod noch Teufel schrecken ... den Kasperl. Ich hab ihn mir auch schon vorgestern postalisch hierher beordert, aber bis jetzt ist er noch immer nicht aufgetaucht. Wo er nur bleibt?! Was meint Ihr: Ob wir ihn mal rufen sollten?!". Noch recht zaghaft beantworteten einzelne Stimmen aus dem Publikum diese Frage mit einem "Ja!". Der Seppl aber schüttelte nur müde sein hölzernes Haupt: "Nein, nein! Wenn Ihr so leise ruft, kann selbst ich Euch ja kaum hören, geschweige denn der Kasperl. Aber ich bin mir sicher, wenn wir das nochmal probieren und Ihr jetzt alle mitmacht, dann geht das noch viel viel lauter! Nicht wahr?!". Wieder ertönte ein "Ja!" - doch diesmal schon deutlich mehrstimmiger und dabei auch sehr viel lautstärker. Sichtlich zufrieden nickte der Seppl in seinem Bühnenbudenkasten: "So is recht, liabe Leit! Nun können wir gemeinsam den Kasperl herbeirufen. Oans, zwoa, drei ... Kaaasperlll!". Dutzendfach ertönte - gleichsam einem musikalisch vom Klassiker "In München steht ein Hofbräuhaus" untermalten Echo - aus den Reihen der Zuschauerschaft zeitversetzt der Ruf: "Kaaaasperllll!", worauf nach der dritten oder vierten Wiederholung direkt neben der Sepplfigur dann auch der zipfelbemützte Kopf eines langnäsigen Holzkaspers auftauchte, welcher ausrief: "Warum schreit Ihr denn so? Ich bin doch nicht taub! Was wollt Ihr denn überhaupt zu solch unchristlich früher Stunde von mir?". Die Beantwortung dieser, ganz sicher nicht in einem Wort zu klärenden Frage übernahm dabei kurzerhand stellvertretend der Seppl: "Aber Kasperl, Du solltest mich doch zu meiner Gretl begleiten, hast Du meinen Brief denn nicht bekommen?!". Die fingerkuppengroße Stoffhand des Kaspers kratzte sich kurz am überlackierten Kopfholz, dann zauberte sie aus dem verdeckten Bretteruntergrund einen großen Papierumschlag hervor, und ihr Besitzer erwiderte: "Meinst Du etwa den?! Freilich, den hat mir der Postbote schon gestern zugestellt. Aber ich hatte leider nichts zur Hand, um ihn aufzureißen und zu lesen, was drin steht". Unwirrsch entrieß der Seppl dem Kasperl den ungeöffneten Brief und zog ihn dabei auffällig langsam an dessen Hakennase entlang, um ihn dann für einen Moment erst im Untergrund ab- und von dort anschließend aufgerissen wieder auftauchen zu lassen. Die weiche Kasperlhand aber strich sich derweil wiederholt über die eigene Hakennase, wozu der Kasper leise vor sich her jammerte: "Autsch! Mein Riechkolben ist doch kein Brieföffner!". Die Zuschauermenge aber tobte schadenfroh. Und der Seppl?! Der entnahm dem geöffneten Briefumschlag das inliegende Blatt Papier, hielt es sich vors Gesicht und las laut vor: "Hallo Kasperl, alter Knabe! Nur eine Bitt ich an Dich habe. Möchte meine Gretel wiedersehn, und will dazu auf Reisen gehn. Dich hätt ich gerne mit dabei, drum in zwei Tagen bei mir sei! Laß mich nicht dastehn wie ein Depp, das wünscht sich sehr Dein Spezi Sepp". Wieder ertönte ringsum schallendes Gelächter, während der Kasperl den Seppl mit versteinerter Holzmine sichtlich gerührt in die zweifingrigen Arme schloß. Was folgte, war ein spannender Ausflug in die finstere Tiefe der ewigen Finsternis, wo die dort zusammengescharten Hexen, Zauberer und Räuber unter der Regentschaft des Teufels von früh bis spät unaussprechliche Qualen zu erleiden hatten. Vom tiefsten Punkt der Hölle aus erfolgte dann aber Gott sei Dank der zügige Wiederaufstieg an die Erdoberfläche. Und von dortaus erklommen Kasper und Sepp den Berg der Läuterung, in dessen reinigendem Fegefeuer sündige Seelen wie der Wachtmeister und die Großmutter ihre früheren Verfehlungen einfach hinwegfegen lassen konnten. Den Gipfel jenes seligmachenden Berges aber krönte dann das himmlische Paradies, an dessen Schwelle der Kasper seinen überglücklichen Freund Sepp in die weitgeöffneten Arme Gretels übergeben durfte. Und während man die zwei Wiedervereinigten auf der links oben erneut aufgetauchten Wattewolke zärtlich miteinander schmusen sehen konnte, tauchte oberhalb der unteren Bretterwand nochmals der Kasper auf und beschloß jenes großartige Bühnenstück reimend mit den Worten: "Was hier begann als 'ne Tragödie, es wird zur göttlichen Komödie. Der Sepp, der Gretl Treue schwor, auf Erden sie zu früh verlor. Doch ließ den Glauben er nie schwinden, daß er sie einst würd' wiederfinden. Und war die Suche auch nicht leicht, hat sie am End' ihr Ziel erreicht. Auf Wolke Sieben schwebt der Bengel - mit Gretl, die dort lebt als Engel. Im Paradiese eins-zwei-fix, ist sie nun seine Beatrix. Wo Sepp, nach jenem Happy End, sie nur noch ihren Dante nennt. Und die Moral von der Geschicht: Gib niemals auf die Hoffnung nicht!". Tosender Beifall begleitete hierauf den endgültigen Abgang des Kaspers, dem die langsame Schließung des Samtvorhangs folgte. Yelena und ich aber sahen uns vor unserem Fortschreiten über die Wiesn noch einmal ganz tief in die angesichts jener anrührenden Liebesgeschichte wäßrig gewordenen Augen und bekräftigten dabei einhellig leise flüsternd: "Niemals nicht!".

Weiter bahnten sich unsere Füße gemeinsam mit denen unserer dreiköpfigen Damenbegleitung einen Weg durch die Menschenmassen. Wieder ließen wir dabei zahlreiche Buden und Fahrgeschäfte links liegen, bis Annemarie Septus direkt vor uns mit einem Male abrupt Halt machte, sich lächelnd zu uns umschaute und dabei ausrief: "Das da drüben ist, glaube ich, genau das Richtige für Euch zwei Verrückte!". Ihr rechter Arm wies nach links, wo ein meterhoher Schuppen auf Rädern langsam hin und her zu schwanken schien. Yelena schaute nach ganz oben und fragte schließlich: "Warum dieses Wackelbude da sich denn nennen Freudenhaus?!". Annemarie schmunzelte, und auch ich mußte unweigerlich loslachen. Oh ja, auch dafür liebte ich meine Yelena so sehr - für diese kleinen ungewollt komischen und zweideutigen Versprecher, die in ihrer russischen Abstammung begründet lagen. Beinahe hätte sie sich angesichts unserer geplanten Hochzeit dazu durchgerungen, jene zauberhaften Sprachfehler in einem Abendschulkurs durch strenges Büffeln von Vokabeln und grammatikalischen Regeln abzulegen. Aber dann war sie aufgrund der dramatischen Zuspitzung der Ereignisse am Vorabend unseres ursprünglichen Hochzeitstermins wieder von ihrem Plan abgekommen. Und das war in meinen Augen auch ganz gut so. Liebte ich sie doch auch wegen jener kleinen Schwäche, die sie so einmalig und unverwechselbar machte. Annemarie Septus hatte ihr unterdess schon erläutert, daß es sich hier nicht um eine Einrichtung zur Ausübung des sogenannten ältesten Gewerbes der Welt handelte, sondern um das "Lach+Freu-Haus", ein knallbuntes doppelstöckiges Sammelsurium verschiedenartigster feucht-fröhlicher Jahrmarktsattraktionen. Ergänzend an uns Beide gerichtet, erklärte sie weiter: "Seht ihr das Gemälde dort inmitten der Hauswand. Wer die beiden Schweinderl sind, die darauf unter dem Tischtuch hervorluken, weiß ich freilich nicht, aber vielleicht nennen wir das etwas grimmig dreinschauende große einfach Frederick und das kleine grinsende Piggeldy. Die menschliche Tischgesellschaft hingegen setzt sich ausnahmslos aus bekannten Vertretern der lokalen Prominenz zusammen. Neben dem Fernsehkoch Alfons Schuhbeck links am Grill wären da beispielsweise der rothaarige Kobold Pumuckl zu nennen, welcher mit verschränkten Armen rechts auf dem Tisch steht, desweiteren der blondgelockte Showmaster Thomas Gottschalk, Volksmusikus Hansi Hinterseer, der farbige Stimmungsschlagerbarde Roberto Blanco sowie der bereits verstorbene exzentrische Münchner Modemacher Rudolf Moshammer nebst seiner Hundedame Daisy ...". Aufgeregt wie ein Schulmädchen schnippste Yelena mit ihren Fingern, und ergänzte sogleich mit sichtlich stolzgeschwellter Brust: "Und an linkes Stirn von Tisch sitzen Bumms-Bumms-Becker Boris, ja?!". Auch der nunmehr zweite, ungewollt leichtfrivole und - wenn man dem in der Journalie verbreiteten Klatsch und Tratsch über den einst so begnadeten jungen deutschen Tennisprofi Glauben schenken mochte - noch nicht einmal so abwegige Schenkelklopfer meiner Angetrauten sorgte bei Annemarie und mir wieder für kurzzeitige Belustigung.

Noch immer wie zwei Honigkuchenpferde über die ganze Gesichtsbreite schmunzelnd lösten Frau Septus und ich im Anschluß drei Eintrittskarten für die uns zu Füßen liegende Schaubude. Die zwei Käslerdamen zogen es vor, vor jenem vielversprechenden "Bauwerk" auf uns zu warten, wo sie allerdings - auf einer Bank mit intervallmäßig vibrierendem Sitzpolster - durchaus auch ihren Spaß zu haben schienen. Beim anschließenden Betreten des zur Anlage gehörenden Vorgartens ließ ich nicht nur Frau Annemarie, sondern auch meiner Yelena gern den Vortritt. Zum einen natürlich, weil man das als Gentleman nunmal einfach so macht, und zum andern, weil ich meiner geliebten Frau und ihrer durchaus immer wieder reizvollen Rückansicht eben gern hinterherschaue. Last but not least aber erhoffte ich mir im Stillen natürlich auch, so aus sicherer Entfernung all die versteckten kleinen Extras des hiesigen Parcours vorab ergründen zu können. So kam ich dann auch gleich zu Beginn in den Genuß, unmittelbar vor mir zwei grazile weibliche Wesen recht geschickt über die in kleineren Abständen senkrecht aufgestellten Imitationen abgesägter und knapp über die bewegte Wasseroberfläche eines künstlich angelegten Grabens herausragender Baumstämme balancieren zu sehen. Dabei galt es beim Hüpfen von Baumstumpf zu Baumstumpf, nicht nur die Balance zu halten, sondern auch diversen kleineren Wasserfontänen auszuweichen, welche hier und da den Weg kreuzten. Yelena gelang all das, wie ich voller Bewunderung anerkennend bemerken darf, mit der Anmut und Eleganz einer Primaballerina. Ja, meine große Liebe schwebte in meinen Augen geradezu übers Wasser, während ich mich in der Nachfolge eher bewegte wie ein Ewigstrauchelnder, dem auf dem schmalen Grat des rechten Weges jeder einzelne Schritt zu einem Fehltritt zu verkommen drohte. Dennoch erreichte am Ende auch ich mit viel Mühe trockenen Fußes das jenseitige Ufer ... um von dortaus in entgegengesetzter Richtung ein wenig versetzt nochmals den Kunstbach zu überschhreiten, allerdings diesmal über eine Brücke aus schmalen zylindrischen Rollen, die einem beim Darüberhinweggleiten durchs Schuhwerk hindurch noch eine kleine kostenlose Fußmassage bescherten. Am anderen Ufer erwarteten mich dann sowohl meine sichtlich begeisterte Frau als auch die Eingangstür zum eigentlichen Spaßhaus. Dessen Innenraum bildete im Erdgeschoß zunächst einmal ein großes Spiegellabyrinth, welches durch Aufsetzen einer zuvor an der Kasse gleich miterstandenen sogenannten Gaudibrille und der damit einhergehenden diversen Lichtbrechungen nur noch undurchschaubarer wurde. Um hier letzten Endes aufgrund der unzähligen Irrwege nicht völlig verlorenzugehen, klammerte ich mich mit beiden Händen kurzerhand an die den Rocksaum Yelenas und überließ ihr die Führung. Sicher, auch auf diese weise Art dauerte es einige Zeit, bis wir einen Ausweg gefunden hatten. Aber alles, was für mich zählte, war, daß wir Zwei einmal mehr gemeinsam ans Ziel gekommen waren. Auf der sogenannten Gaudistiege, bei der sich die in der Mitte halbierte Treppe in ihrem ständigen Auf und Ab im wahrsten Sinne auf Schritt und Tritt gegeneinander bewegte, gelangten wir mit etwas Mühe ins Obergeschoß, wo uns dann auf engem Raum der ohrenbetäubende Krach eines von der Decke herabhängenden unaufhörlich scheppernden Kuhglockenlabyrinths nebst Besenkarussell und beweglich aufgestellten, hin und her schwankenden Holzleitern empfing. Hier hindurch galt es, sich mutig den Weg zu bahnen, ebenso wie durch die anschließenden drehbaren Heuballenimitationsrollen und den von dortaus über den Balkon erreichbaren Gebälkirrgarten. Mittels Bücken und Unterlaufen, Klettern und Übersteigen sowie dem Verrenken des gesamten Körpers auf eigenartigste Art hatten Yelena und ich auch hier schließlich alle kreuz und quer angebrachten hölzernen Hindernisbalken ruhig und gelassen hinter sich gelassen, um uns dann in einem Rutsch über ein schlauchförmiges Metallrutscherl ins Erdgeschoß quasi vom Dachboden auf den Boden der Tatsachen zurückbefördern zu lassen. Dort erwartete uns nun die sogenannte Waschküche, welche aus einem Labyrinth unzähliger dicht an dicht aufgehängter kunterbunter LED-Licht-Stabröhren bestand. Auch hier bot einem die aufgesetzte Gaudibrille noch eine zusätzlich verschärfte Lichtshow. Die aber bereitete uns damit schonmal auf das vor, was uns draußen auf dem Hof nach einer weiteren Bachüberquerung über die verrückte, hin und her schaukelnde Hängebrücke erwartete ... die sogenannte Almdisko. In ihren engen Räumlichkeiten vereinte sie eine große Ansammlung verschiedener Drehscheiben und Schiebeböden, die einen beim Darüberschreiten geradezu in alle Richtungen hin und her schleuderten. Auf manchen von ihnen kam ich mir wie früher beim Polizeidienst im Yard vor, denn auch da trat man zeitweilig
auf der Stelle, stellenweise ging es nur schleppend voran oder aber man drehte sich immer wieder irgendwie im Kreis. Am Ende aber ging dort wie hier stets alles in eine komplett andere Richtung, als man zunächst vermutet hatte. Und gerade die unerwartete Wendung brachte den Fall oftmals erst ins Rollen und damit letztendlich den wahren Täter zu Fall.

Hier im "Lach+Freu-Haus" hätte unterdess auch mich eine längst ins Rollen gekommene Sache im Anschluß beinahe noch zu Fall gebracht. Waren Yelena und ich doch mittlerweile am in höchsten Tönen gelobten Highlight des Etablissements angelangt - der größten rollenden Tonne der Welt. Böse Zungen könnten jetzt natürlich behaupten, die Bezeichnung "größte rollende Tonne der Welt" stehe am ehesten vielleicht mir selber zu, sollte ich bei meiner Körperfülle an einem Abhang versehentlich einmal ins Wanken geraten und dann selbigen unverhofft hinunter zu kullern beginnen. Tatsächlich aber waren vor Ort zwei hintereinander rollend gelagerte, sich in entgegengesetzter Richtung drehende Hohlzylinder mit je zwei Meter Durchmesser und einer Gesamtlänge von 14 Metern gemeint. Während sich sowohl die inzwischen wieder zu uns gestoßene Annemarie Septus als auch meine Yelena beim Anblick jenes Monstrums für das weitaus ungefährlichere Außen-Vorbei-Gehen entschieden, entschloß ich mich mutig für die Augen-zu-und-durch-Taktik. Beim ersten Tonnenabschnitt klappte es damit auch noch erstaunlich gut, dann aber kam ich beim Überwechseln in den zweiten Zylinder aus dem Tritt und wurde fortan 700 unendlich lange Zentimeter lang wie in der Trommel einer Waschmaschine ununterbrochen hin und her geschleudert. Gewiß holte ich mir dabei den einen oder anderen blauen Fleck am Leib, aber nichts desto trotz muß es für den Zuschauer wohl auch ein lustiger Anblick gewesen sein, wie ich dem lauten Gelächter aller Außenstehenden entnahm. In Gedanken malte ich mir nun auch selbst lebhaft aus, welch komische Figur mein beleibter Körper bei der Schaukelei im Tonneninnern machen würde, und mußte unweigerlich mitlachen. Ja, ich konnte einfach gar nicht mehr aufhören damit. Ein Zustand, der sogar dann noch anhielt, als mich die Drehtonne schon ausgespuckt hatte und ich wieder auf eigenen - wenn auch noch etwas wackligen - Beinen stand. Man muß eben auch mal über sich selbst lachen können. Wer dazu nicht in der Lage ist, nun ja, der tut mir ehrlich leid! Nachdem mir meine Yelena mit einem Taschentuch liebevoll sämtliche Lachtränchen aus dem Gesicht gewischt hatte, beschlossen wir unseren Rundgang nach dem Verlassen des Spaßhauses mit einem rollenden Hinweggleiten über die letzte Brücke des künstlichen Bacherls samt seinen Wasserspielen. Am Ausgang erwartete uns dann noch das Durchschreiten eines überdimensionalen Hulahuppreifens, welcher sich unermüdlich drehte und dabei ringsum mit weißblauen Bändchen geschmückt war, gefolgt von einem letzten kleinen einstufigen Treppenabsatz. Der allerdings hatte es dann noch einmal in sich, machte er doch aus meiner unmittelbar vor mir luafenden Yelena dank einer versteckt eingebauten Druckluftdüse kurzzeitig eine zweite Marilyn Monroe, indem er den Rock ihres Dirndls für den Bruchteil einer Sekunde in die Höhe jagte. Sichtlich überrascht drückten Yelenas Hände den weißblauen Rocksaum umgehend wieder nach unten, während sie in ihrer Gesamtheit zugleich juchzend einen kleinen Hüpfer nach vorn machte. Entgeistert blickte sie sich um, dann aber mußte sie lachen. Und ihr unvergleichlich bezauberndes Lachen ließ dabei ihr ganzes Gesicht hell erstrahlen. Keine Frage: Das Schild des bäuerlichen Pappkameraden, welcher von Zeit zu Zeit wasserspeiend am Bacherl stand, hatte in unseren Augen durchaus das gehalten, was es versprach, indem es jedem Besucher des "Lach+Freu-Hauses" von vornherein erklärte: "Des is a Gaudi". Und so schwärmten wir auch den Käslers von all den lustigen Eindrücken unseres "Hausbesuchs" vor, während wir mit ihnen gemeinsam unter der bewährten Führung von Annemarie Septus unseren Wiesnrundgang fortsetzten.

Irgendwann landeten wir dabei an einer Schießbude, deren stimmgewaltige Inhaberin Yelena und mir schon von weitem zurief: "Hey, sie da! Ja, sie, das junge Glück mit den drei generationsübergreifenden Brautjungfern! Möchten der Herr für seine Herzensdame nicht mal ein paar Rosen schießen? Zehn Schuß nur fünf Euro". Ich nickte stumm. Warum eigentlich nicht?! Zumal einem, sofern man mit jedem Schuß traf, bei zehn Treffern als Hauptpreis ein großer brauner Teddy winkte mit runden schwarzen Knopfaugen. Schließlich hatte ich seinerzeit auf dem Schießstand im Keller des Yard stets ganz passable Ergebnisse erzielt. Und so reichte ich der Schießbudendame einen Fünfer aus der Geldbörse, welche ich um den Hals zu hängen hatte, und erhielt dafür im Gegenzug ein Luftdruckgewehr samt 10 Diabolos. Mit ruhiger Hand lud ich die Waffe, legte an, zielte, drückte ab und traf. Das Ganze wiederholte ich weitere acht Male. Neun Papierrosen lagen vor mir, und es erschien mir aus dem Augenwinkel heraus für eine Sekunde sogar so, als würde mir der plüschige Teddy von seinem Holzregal aus bereits zuzwinkern. Zu schade nur, daß mir genau dieser etwas merkwürdige Umstand im entscheidenden Moment meine Konzentration raubte. Und so traf der letzte Schuß statt ins Schwarze leider nur ins Leere. Ein leises Raunen ging durch die Menge der Umstehenden. Ich hingegen wand mich blitzschnell meiner Yeli zu und zuckte enttäuscht mit den Schultern. Meine geliebte Braut aber blinzelte mir kurz zu, wozu sie sprach: "Du nicht brauchen sein traurig, Luki! Ich schon dafür sorgen, daß Du bekommen, was Du wollen!". Damit knallte sie festentschlossen ebenfalls eine Fünfeuronote auf die hölzerne Theke der Bude, angelte sich die ihr von der Inhaberin dargereichte Munition und das Gewehr aus meiner Hand. Sie lud, legte an, zielte, schoß und erzielte einen Treffer. Dem einen aber folgte ein zweiter, dem wiederum ein dritter und dann noch einer. Vier weitere gesellten sich hinzu. Schon hatte auch sie insgesamt neun selbstgeschossene Papierrosen vor sich liegen. Ein letztes Mal lud sie nach. Wieder legte sie den Gewehrkolben an ihrer zarten, nackten Schulter an und zielte. Ein Auge hatte sie dabei zugekniffen, ganz ruhig und regelmäßig hob und senkte sich der in ihrem Dirndl prächtig zur Geltung kommende Brustkorb. Ihr Zeigefinger krümmte sich am Abzug des Gewehrs. Dann ertönte ein lauter Knall, während alles um sie herum für einen Augenblick den Atem anzuhalten schien. Ein gar zartes Papierröschen aber segelte, inmitten seines dünnen Drahtstengels getroffen, sachte wie in Zeitlupe zu Boden. Und donnernder Applaus hallte gleichsam einem Echo des abgefeuerten Schusses über den Platz. Yelena verneigte sich kurzerhand tief vor der Schar der begeisterten, zumeist männlichen Bewunderer jener weiblichen Treffsicherheit. Ich aber schüttelte im Stillen innerlich den Kopf. Wie um alles in der Welt konnte ich nur immer wieder vergessen, daß meine Yelena allein aufgrund ihrer Vergangenheit sicherlich auch eine umfangreiche Schießausbildung genossen haben dürfte?! Meine Meisterschützin nahm indes aus den Händen der Schießbudenbesitzerin den zehnstieligen Papierblumenstrauß und den mit ihm verknüpften Preis entgegen, wobei sie letzteren sogleich an mich weiterreichte mit den Worten: "Eine kleine kuschelige Bärchen für meine große kuschelige Bär!". Zum Dank für dieses reizende Kompliment aber legten sich meine Lippen unumwunden auf die ihren.

[Wird fortgesetzt]

Der obige Text ist rein dialektisch vollständig bayern-kompatibel. Vielen lieben Dank an unseren daran zum großen Teil beteiligten treuen Bücherwurm Angel!

+++ CRIMINAL MINDS +++ DALLAS +++ CASTLE +++ DOCTOR WHO +++ 24 +++

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Angel (14. November 2012, 15:12), Claudia (14. November 2012, 15:12)

sven1421

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Samstag, 10. November 2012, 20:55

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25. September 2009. München - Tag 2. Sechster und letzter Akt.

Als sich unsere Münder kurz darauf wieder voneinander lösten, verzeichneten meine Ohren ein lautes Knurren - eines das zunächst fast so klang, als entstamme es dem Bauche des Braunbären in meinen Händen. In Wirklichkeit aber meldete sich hiermit nun vielmehr mein eigener Bauch zu Wort, der nach dem am Morgen abrupt abgebrochenen Frühstück lautstark um Nahrungsaufnahme durch die ihm übergeordneten Organe verlangte. Der anschließende kurze Blick auf meine Taschenuhr verriet mir zudem, daß die Mittagsstunde eh schon in greifbare Nähe gerückt war, und so unterbreitete ich dem vierköpfigen Kreis meiner Begleiterinnen folgenden Vorschlag: "Nun die Damen, wie wäre es mit einer Brotzeit?!". Yelena und Annemarie nickten sofort stürmisch, doch die zwei Käslerfrauen winkten nur ab und erklärten einstimmig zweistimmig: "Nix da!". Wozu die Gestandenere der Beiden noch ergänzte: "Jetzt wirds a moi Zeit für was Zünftges. Etwas Warmes braucht der Mensch! und I woaß a scho, wo mir des kriagn! Aufi, gemma!". Sprach sie und übernahm damit kurzerhand die Führung unseres Wiesntrupps.

Nach etwa hundert Metern Fußweg kreuz und quer durchs menschliche Gedränge langten wir fast am Ende des Wiesngeländes zwischen einem großen Riesenrad und der außerhalb des Festgeländes angesiedelten monumentalen Bronzestatue der Patrona Bavariae vor einem großen dunkelgrünen Festzelt an, über dessen schmalem Eingang in goldgelben Lettern der Name der bayrisch-sächsischen Großbrauerei "Radiberger" angebracht war. Frau Käsler senior erklärte uns hierzu: "Des is übrigens leider erst amoi des letzte Jahr, wo die Radibergers hier mit von der Partie san wern. Im nächsten Jahr sois an genau dieser Stelln zum 200jährigen Jubliläum nämlich a sogenannte historische Wiesn geben". Im Anschluß betraten wir das Zelt, das in seinem Innern einen noch viel geräumigeren Eindruck machte als von außen und dabei in seiner künstlich beleuchteten Schummrigkeit eine unheimlich gemütliche Atmosphäre ausstahlte. Den Mittelpunkt des Raumes bildete eine Holztribühne, auf der sich an einem großen Holzfaß ein paar Männer in Lederhosen miteinander recht angeregt unterhielten. Ringsum aber standen an vielen langen schmalen Tischreihen ebenso lange und schmale Holzbänke, reich besetzt mit einer gar munteren Besucherschar. Hier saßen ohne jegliche Berührungsängste dicht an dicht der vollbärtige kopfbetuchte Rocker im Lederoutfit und ein auf ganz andere Weise betuchter Schlipsträger mit Fönfrisur und Rolex, die streng zugeknöpfte Dutträgerin mittleren Alters mit der Nickelbrille und das fesche junge Madl im weitaufgeknöpften weinroten Trachtenkleid. Da schwatzte ein einheimischer Urbaier angeregt mit einem eingefleischten Berliner, die dunkelhäutige Afrikanerin aus Garmisch mit dem mandeläugigen Chinesen aus Rostock. Und wo einem dabei unter Umständen einmal die richtigen Worte fehlten, unterhielt man sich eben mit Händen und Füßen weiter. Meine Taschenuhr zeigte unterdess 5 vor 12, während wir uns zu fünft in eine der Bankreihen schoben. Yelena und mir unmittelbar gegenüber hockte dabei ein älteres Paar, dessen männlicher Part sich kurzerhand mit dem Hemdsärmel über den bierschaumverschmierten Schnäuzer strich und mich dann nach kurzer Musterung anknurrte: "Bei uns sogt ma Grias God, wenn ma reikimt!". Seine bessere gutbeleibte Hälfte stieß im den Ellenbogen in die Seite und raunte: "Franzl! Laß gefälligst die Herrschaften in Ruh! Vielleicht kommens ja von weiter her und sind unserer Sprach gar net mächtig!". Ein wortloses Knurren war die knappe Antwort des einheimischen Schauzbarts, woraufhin seine Partnerin nur milde abwinkte: "Ich bin die Maxi, und scho lang koa Single mehr. Aufgrund meiner rheinländischen Vorliebe für kurze Röcke nennens mich meine Freundinnen auch gern die Maxi mit dem Mini. Nehmts den alten Grantler neben mir nicht allzu ernst, der mosert immer an allem rum. Und wer seids ihr? Wo kommts ihr her?". Meine Yelena war in jenem Augenblick, den die aufgeschlossene Maxi in ihrem ungestümen Redefluß scheinbar zum Luftholen nutzte, ein wenig fixer als ich und antwortete wie aus der Pistole geschossen: "Ich heißen Yelena, und das sein meine Mann Lukas Svensson. Wir beide aus London kommen, sein frisch verheiratet und hier verbringen ein paar Tagen von unser Flatterwochen". Maxi riß ganz aufgeregt ihre Arme in die Höhe: "Ja mei, ein frischvermähltes Liebespaar aus England. Ach ja, Sie müssen nämlich wissen, mein Mann und ich, wir feiern heut Goldene Hochzeit, gell Franzl?!". Mehr als ein leises Knurren war dem Angesprochenen auch auf diese Offenbarung hin einfach nicht zu entlocken. Und so wand sich die Maxi in ihrem unerschöpflichen Mitteilungsdrang auch lieber wieder meiner Frau zu: "Aber sagen Sie mal, meine Liebe, Ihr Akzent klingt doch irgendwie auch ein bißerl osteuropäisch, oder irr ich mich da?!". Diesmal war ich der Schnellere und erklärte: "Nein, Sie irren sich nicht. Meine Frau stammt ursprünglich aus Rußland, zu Zeiten, da dieses noch dem Staatenverbund der Sowjetunion angehörte". Die eingeheiratete Bajuvarin nickte eifrig und hakte dabei gleichzeitig nach: "Und Sie selbst?! Für einen waschechten Briten erscheint mir Ihr Hochdeutsch doch ziemlich akzentfrei?!". Jetzt nickte auch ich und erklärte zugleich: "Richtig erkannt, meine Teuerste! Ursprünglich wurde ich in Königsberg geboren, von wo aus meine Eltern mit mir bei Kriegsende erst ins östliche Berlin flüchteten und dann noch lange vorm Bau der Mauer in den Westen. Von dortaus aber siedelten wir dann ins britische Königreich über, wo ich jetzt beheimatet bin". Die Maxi stieß ihrem wortkargen Gatten erneut unsanft in die Seite: "Hast Du das gehört, Franzl?!". Der Göttergatte nickte kurz und erwiderte dann zu unser aller Erstaunen in seinem ersten längeren Dreisatz: "Jo, do schauts her: a angelsächsischer Ostsaupreiß und oa sowjetrussische Exilengeländerin mit am skandinavischen Familiennamen und oa rheinischen Mini-Maxi-Frohnatur mitsamt ihrem fischköppig maulfaulen Franzmann inmittem vom Herzen des scheenen Baiernlands. Des nenn i amoi multikulti, oder?! Auf des sollt ma glei amoi anstossn!".

Kaum hatte der schnauzbärtige Franz uns mit dieser kurzen Zusammenfassung unseres bisherigen Tischgesprächs beglückt, da wurde auf der Bühne auch schon mit dem lauten Anschlagen einer Kuhglocke die Mittagszeit eingeläutet, wozu ein Lederhosenträger mit Mikrofon widerhallend erklärte: "So, meine lieben Gäste! Im Namen der Radiberger-Brauerei begrüße ich Sie aufs Herzlichste in unserem Festzelt, wo es nun wieder Zeit ist für den täglichen traditionellen Bierfaßanstich, fachgrecht ausgeführt von unserem amtierenden Münchner Kindl Stefanie Krätz. Eine langhaarige Blondine im schwarzgelben Kapuzenkostüm betrat lächelnd die Bühne, in einer Hand einen runden Holzhammer in der anderen einen metallenen Zapfhahn. Gemeinsam mit dem Moderator und den nach und nach einstimmenden Gästen zählte sie langsam die verbleibenden Sekunden bis High Noon herunter, legte dann den Zapfhahn am Bierfaß an und trieb ihn mit drei beherzten Schlägen durch dessen Holzbodenplatte. Und während ein Gehilfe von oben her mit fünf weiteren Schlägen auf einen Keil das Faßerl belüftete, erklärte die kostümierte Steffi voller Stolz ins ihr vorgehaltene Mikro: "Frisch o'zapft is! Auf eine weiterhin friedliche Wiesn!". Dazu erklangen die ersten Takte des Bayrischen Defiliermarsches, gefolgt von einem Tusch und dem musikalischen Einzeiler "Ein Prosit der Gemütlichkeit". Unter dem Applaus aller Anwesenden stürmten nun drei Dutzend Kellnerinnen in ihren feschen goldgrünen Trachten mit je einem Schwung gläsernen Bierkrüge bewaffnet die Festzeltbühne und ließen sich ihre gläsernen Gefäße allesamt randvoll mit je einem Liter des schäumendem Gerstensaftes befüllen. Hernach verließen sie im Eilschritt die Tribüne und begaben sich unter das durstige Bierzeltbesuchervolk. Drei weitere Dutzend ihrer Kolleginnen liefen bereits mit Brezelkörben zwischen den Gästen umher und brachten ihr salziges Laugengebäck gegen einen geringfügigen Obolus an den Mann oder die Frau, wobei sie hier und da mit rasch gezücktem Notizblock auch schon die ersten Essensbestellungen aufnahmen. Auch an unserem Tisch landete eine jener Bedienungen mit üppig ausgefülltem Dekolette. Bei ihr bestellte sich Yelena neben der Brezn zwei Stück original Münchner Weißwürste mit süßem Senf, während ich - angesichts der augenscheinlichen Anziehungskraft ihrer zum Teil recht unverhüllten Oberweite den Blick die ganze Zeit über gezielt gen Boden gerichtet - eine knusprig gebratene Schweinshaxn in Natursoße mit Reiberknödel orderte. Die Käslers hingegen bestellten sich zwei Portionen Wiener Schnitzel vom bayerischen Kalb mit hausgemachtem Kartoffelsalat und Preiselbeeren. Und Annemarie Septus wählte zu ihrer Brezn nur einen Obazda - einen mit Paprika und Gewürzen herzhaft angemachten Briekäse mit einer Garnitur aus Zwiebelringen. Maxi uns gegenüber tat es ihr gleich, und ihr Franz verzichtete gänzlich auf feste Nahrung, indem er auf Anfrage der Bedienung kurzerhand abwinkte: "I brauch nur oa anständige Maß!". Seine Bitte wurde erhört, denn schon kurze Zeit später stellte eine weitere herangeeilte Kellnerin vor uns in geradezu atemberaubender Geschwindigkeit sieben Maßkrüge auf den Tisch. Im Gegenzug kassierte sie pro Person je 8 Euro und 15 Cent, und machte sich anschließend auf den Weg zum Nachbartisch, uns allen im Enteilen noch einen guten Tag wünschend. Und während Yelena mit ihrem schweren Glaskrug zuerst nur mir, dann aber auch Maxi, den Käslers sowie Annemarie zuprostete, stieß mit einem Male auch ein Maßkrug klirrend an dem meinen an. Es war das Bierglas meines schnauzbärtigen Gegenüber, das sich auf diese Weise im Auftrag seines Halters auf Kontaktsuche machte. Ich erwiderte promt jenen anstößigen Übergriff, was der alte Grantler Franz wiederum zum Anstoß nahm zu einem geradezu ungestüm vorgetragenen mehrsprachigen: "Prosit! Zum Wohle! Skal, Cheers und Na Sdarowje!". Mit einem tiefen Blick ins Glas aber fügte er leise grummelnd hinzu: "Is die oide nimmer frisch, kimmt a neie aufn Tisch!". Und fast erschien es mir, als husche bei jenem doppeldeutigen Trinkspruch so etwas wie der Ansatz eines kleinen Lächelns über sein ansonsten bislang gänzlich unbewegtes Gesicht.

Auch unser Essen ließ in der Folge gar nicht lange auf sich warten. Und während sich meine Yelena noch mit der neben ihr sitzenden Sandra Käsler über die rechte Art des Weißwurschtzuzelns aufklären ließ, die wohl darin besteht, daß man die Wurst mit dem Messer am einem Ende erst einmal vorsichtig einritzt und dann durch jenen Spalt die Wurst mittels sanftem Lippenüberstülpen allmählich aus ihrer Pelle heraussaugt, widmete ich mich ganz und gar meiner Haxn und den ihr beiliegenden Knödeln, woraufhin ich anschließend meinen Bierkrug genußvoll in einem Zuge leerte. Franz zwinkerte mir daraufhin zu und raunte: "Na, wollns no oans?". Und ohne meine Antwort auf seine Frage überhaupt abzuwarten, winkte er eine der vorbeilaufenden Schankkellnerinnen zu sich heran und organisierte uns so zwei weitere Liter. Auch sie fanden nach und nach den Weg durch unsere trockenen Kehlen, woraufhin die leeren Gläser sogleich - diesmal auf einen Wink von mir hin - durch neue ersetzt wurden. Mit jedem Maß aber stieg bei uns wie auch bei allen anderen Festzeltgästen das Maß der guten Laune, zusätzlich gefördert durch das zackige Aufspielen einer Blasmusikkapelle von der Tribüne her. Klassiker wie "Die lustigen Holzhackerbuam", "Rosamunde" oder "So ein Tag so wunderschön wie heute" wechselten einander ab und luden ihre bei Tisch versammelten Zuhörer dabei in gemütlicher Runde zum Einander-Unterhaken, Schunkeln und Mitsingen ein. Und mochte letzteres auch den einen oder anderen falschen Ton hervorbringen, so störte das hier niemanden. Es schien unter dem großen Volk der friedlich Feiernden ganz einfach keine Mißtöne mehr zu geben, nur noch die unzerstörbare Harmonie eines gemeinschaftlichen Daseins, in welcher jeder auf seine ganz spezielle Art etwas zur allgemeinen Unterhaltung beitrug. Wie im Fluge vergingen so die Stunden. Und da es drinnen im Zelt eh die ganze Zeit immer gleich hell war, bemerkten wir auch gar nicht, daß es außerhalb unseres zeltplanmäßig ummantelten Stimmungsbiotops langsam ein wenig "dumpa" wurde. Erst als ich nach einigen weiteren Bieren leicht wankend eines jener recht stillen Örtchen mit dem geradewegs musikalisch anmutenden Titel "Dixieklo" aufsuchte und dabei einen kurzen Blick auf meine Taschenuhr wagte, dämmerte es auch bei mir. Und zu meiner schlagartig einkehrenden Ernüchterung mußte ich feststellen, daß uns nur etwa zweieinhalb Stunden von unserer um 20 Uhr 15 fest eingeplanten Weiterreise vom Münchner Hauptbahnhof aus trennten. So begab ich mich nach meinem Toilettengang raschen Fußes zurück zum Tisch und drängte den Rest meiner Wiesngang zum Aufbruch. Ein letzter Abschiedsschluck aus dem Maßkrug, ein kurzes herzliches Händeschütteln mit Franz und Maxi, dann verließen Yelena und ich gemeinsam mit Annemarie und den Käslers das Bierzelt.

Rings um dessen Eingang herum erspähten unsere, sich nur langsam an die über uns hereinbrechende Dunkelheit gewöhnenden Augen am Boden liegend einen zunächst pechschwarzen Schatten, dessen Umrisse von Zeit zu Zeit wild zu zucken schienen. Zwei an uns vorbeitorkelnde Burschen hatten jenen Schatten scheinbar auch erblickt, woraufhin der eine dem andern zulallte: "Ey Bruno, guck mal! Da liegt schon die erste Schapsleiche!". Der Begriff "Schnapsleiche" war dabei für einen Ex-und-Hopp-Kriminalisten wie mich ein nicht zu ignorierendes Stichwort. Und so riß ich meine Arme weit auseinander und taumelte geradezu leichtfüßig im leichten Zickzackkurs in Richtung des noch immer zuckenden Schattens, wozu meine schwer gewordene Zunge stammelte: "Mitbürger! Freunde! Münchner! Hört mich an: Aus dem Wege! Laßt mich schnell zum hochprozentig scheintoten Leichnam ohne Totenschein vordringen! Denn das Verbrechen war bislang meine Berufung, und Mord ist nun mein Hobby!". Direkt hinter mir aber hörte ich noch wie von ferne die leise Mahnung meiner besorgten Gattin: "Luki, Liebes, Du bedenken, Du hier sein außen Dienst!". Oh ja, sie wußte gar nicht, wie recht sie mit jenem Ausruf in seiner entzückend gramatikalischen Wortverdrehtheit hatte. Ich war hier quasi der Außendienst. Und damit jener fachkundige, freiwillige Helfer der örtlichen Polizeibehörde, der bis zu deren Eintreffen den Tatort gegen Fremdeinwirkung und Spurenverwischung durch Dritte sicherte. Eifrig trieb ich die sich langsam ansammelnden Schaulustigen von dem zuckenden Menschenbündel weg, während sich die mir nachgeeilte Yeli langsam zu ihm hinunterbeugte und alsbald mit brüchiger Stimme vermeldete: "Was bloß los sein mit armes Kerl? Auf Stirn ihm stehen kaltes Schweiß, und er sein kaum noch ansprechbar". Aus der von mir zurückgedrängten Menschenansammlung heraus meldete sich eine junge Frau zu Wort: "Was soll denn der ganze Quatsch! Der Typ ist halt besoffen und schläft hier seinen Rausch aus. Warum könnt ihr den da nicht einfach liegen lassen, bis er wieder nüchtern ist?". Es war Sandra Käsler, die hieraufhin entschlossen vortrat und als Antwort erwiderte: "Erstens, weil die Nächte mittlerweile schon recht kühl sind. Zweitens, weil wir als zivilisierte Wesen eine Verantwortung für unsere Mitmenschen besitzen. Und drittens, weil mir ein lieber Freund, dessen Betätigungsfeld in der Pflege bedürftiger Menschen liegt, einmal verraten hat, daß derartige Symptome keineswegs immer nur auf einen Vollrausch hindeuten müssen, sondern durchaus auch von einer deutlichen Unterzuckerung des Körpers herrühren können, welche bei Nichtbehandlung zum Zuckerschock und damit schlimmstenfalls zum Tod des Betroffenen führen kann". Mit diesen Worten zückte sie auch schon ihr Handy und alarmierte über die Notrufnummer 112 die hiesigen Rettungskräfte, die binnen weniger Minuten vor Ort erschienen und nach einem einfachen Blutzuckertest den von Sandra geäußerten Verdacht bestätigten. Ein Notarzt injizierte dem mittlerweile in eine warme Decke gehüllten Diabetiker eine Glukoselösung, woraufhin der junge Mann dann auch rasch wieder zu sich kam. Es dauerte noch einen Augenblick bis er auf Anfrage bei einem der Rettungsassistenten begriff, was ihm zugestoßen war und wem er die gerade noch rechtzeitige Hilfe verdankte. Sichtlich gerührt angelte er mit seinen zittrigen Fingern nach dem zarten Händchen der mittlerweile schon geraume Zeit über ununterbrochen neben ihm knieenden Käslertochter und hauchte ihr mit noch deutlich geschwächter Stimme sanft zu: "Danke, mein rettender Engel!". Sandra errötete leicht, woraufhin die Beiden noch ein ganzes Weilchen angeregt miteinander tuschelten. Am Ende aber, da sich das Käslertöchterchen mit einem Blick zur Uhr und auf das Drängen ihrer Frau Mama von ihrer neuen männlichen Bekanntschaft verabschiedete, zierte den leichtbehaarten Unterarm des am Boden liegenden Herrn eine mit dem Kugelschreiber eines Sanitäters aufgetragene zwölfstellige Ziffernfolge, die sich mysteriöserweise exakt mit Sandra Käslers mobiler Telefonnummer zu decken schien. Sekunden später aber kehrten beide Käslerfrauen, Yelena und ich aus dem schummrigen Halbdunkel des Bierzeltvorplatzes auf den "Pfad der Tugend" zurück, wie Annemarie Septus in diesem Moment geradezu poetisch unseren Rückweg über die Schaustellerstraße in Richtung Haupteingang zu betiteln pflegte.

Im Sinne eines raschen Vorankommens angesichts der nun doch etwas knapp bemessenen Zeit vermieden wir es hierbei tunlichst, unsere Blicke großartig nach rechts und links schweifen zu lassen. Neben einem der unzähligen kleineren Stände bremste ein lauthals vorgebrachtes Halt aus der vor kurzem noch eher zurückhaltend agierenden Kehle Sandra Käslers allerdings dennoch unvermittelt unseren Schritt. Ihr ausgestreckter Arm wies dabei auf ein riesiges Meer aufgehängter Lebkuchenherzen, über denen ein kleines handbemaltes Holzschild in Fünfziger-Jahre-Bill-Ramsey-Manier liebevoll Sinn und Zweck der dahinter versteckten Bretterbude verkündete: "Souvenirs, Souvenirs". Rasch lief Sandra auf das kleine Büdchen zu, schaute sich mit großen Augen um, und unterhielt sich dann ganz aufgeregt einen Moment lang mit der Verkäuferin. Zurück kehrte sie mit einer kleinen Geschenktüte mit der Aufschrift: "Alles Liebe vom Oktoberfest", die sie freudestrahlend an meine Frau und mich überreichte. Und meine Yelena entlockte jener Tüte sogleich ein blauweiß gemustertes quadratisches Platzdeckchen mit einem Meter Seitenlänge und dem dazu passenden Aufdruck "1 qm Freistaat". Sandra aber sprach dazu ganz leise: "Das soll Euch Zwei stets an Euren Münchenbesuch, an diesen wunderschönen Tag und natürlich auch an uns erinnern". Nacheinander nahmen Yelena und ich die liebenswerte junge Frau fest in den Arm und bedankten uns aufs Allerherzlichste für die uns zuteil gewordene Gastfreundschaft. Dann lief auch ich noch zu jener Geschenkebude hin, sah mich ein wenig um und flüsterte anschließend der Verkäuferin etwas ins Ohr. Sie aber rief eine Kollegin vom Nachbarstand zu sich, mit der sie sich kurz austauschte, und übergab mir währenddessen ein herrlich duftendes Lebkuchenherz mit der zuckersüßen Widmung "I hob di sooo liab". Hurtig kehrte ich wieder zu den anderen zurück und schenkte das Herz meiner Yelena, die sich dafür prompt mit einem leidenschaftlichen Busserl bei mir bedankte. Im nächsten Augenblick aber stand bereits die Verkäuferin des Nachbarstandes bei uns. Sie trug eine Sofortbildkamera in der Hand und forderte uns mit ein paar kurzigen zackigen Handbewegungen dazu auf, vorm imposanten Hintergrund des Geschenkestands ein wenig dichter zusammenzurücken. Binnen weniger Sekunden standen die Käslers mit Annemarie in ihrer Mitte beieinander, während Yelena und ich vor ihren Beinen in die Hocke gingen. Der Blitzlicht der Kamera leuchtete kurz auf, dann kam surrend das Foto zum Vorschein, welches sich in nur wenigen Sekunden vollständig zu einem bleibenden Erinnerungsstück entwickelt hatte, das ich gleich an Sandra Käsler weiterreichte und dazu mit feierlicher Stimme anmerkte: "So mögt auch ihr uns stets im Gedächtnis behalten!". Nach einer großen Gruppenumarmung machten wir uns allesamt mit ein paar klitzekleinen Tränen der Rührung im Auge an die Fortsetzung unseres Fußmarsches in Richtung Ausgang.

Vor uns erhob sich dabei alsbald auch wieder das Eingangstor zum Oktoberfest, das für uns zu jener Abendstunde nunmehr zum Ausgangstor wurde und seinem scheidenden Besucher mittels des im Torbogen angebrachten Schriftzugs noch ein letztes liebevolles "Pfüa Gott & Auf Wiedersehen" mit auf den Weg gab. Bevor unsere fünfköpfige illustre Gesellschaft es allerdings in Richtung U-Bahnstation durchschritt, genehmigten wir uns noch einen kurzen Zwischenhalt an der im Eingangsbereich aufgestellten Losbude. Allzusehr hatte uns deren Verkäufer gelockt mit seinem geradezu marktschreierisch vorgetragenen: "Ein Los ein Euro! Jedes dritte Los ein Gewinn!". Yelena und ich erstanden daraufhin bei jenem geschäftstüchtigen Herrn insgesamt fünf der angepriesenen kleinen Faltzettelchen, welche ich in der Folge nacheinander einzeln mit leicht zittrigen Fingern aufzureißen begann. Fünfmal zeigte sich hierauf meinen, erwartungsvoll gespannten Augen blau auf weiß ein und dieselbe ernüchtenden fünf Buchstaben: "N-I-E-T-E". Und nur für den Fall, daß ich mein vermeintlich hartes Los in jener kurzen und knappen Form noch nicht zu fassen vermochte, erläuterten die Lotteriebetreiber darunter noch einmal unmißverständlich in etwas kleiner gehaltenenen pechschwarzen Druckbuchstaben: "Diesmal leider nichts gewonnen!". Als ich am Ende jenes derart unergiebigen Aufreißens wieder aufblickte, aber schaute ich in acht unheimlich mitleidig dreinblickende Frauenaugen, zu deren sichtlicher Verwunderung ich von meinem kleinen Mißerfolg recht unbeeindruckt erklärte: "Kein Grund zum Traurigsein, die Damen! Ich hab doch schon längst das ganz große Los gezogen". Ich verlieh meinem Gesicht dabei einen strahlenden Ausdruck und ergänzte, während sich meine zuvor weit ausgestreckten Arme sachte um die Taille meiner mir nahestehenden Yelena zu schließen begannen: "Meine geliebte Yeli ist und bleibt schließlich der absolute Hauptgewinn in meinem Leben". Ein langer, intensiver Kuß von meiner Angebeteten entlohnte mich umgehend überreich für meine kleine Liebeserklärung. Als sich unser beider Lippen schließlich wieder trennten, vernahm ich quasi in Stereo je einen leisen Seufzer aus den Kehlen von Mutter und Tochter Käsler. Der Blick meiner leuchtenden Augen aber fiel zugleich auf die etwas abseits stehende, mir eifrig zunickende Annemarie Septus: "So ist's recht, meine Lieben! Pech im Spiel, Glück in der Liebe!". Und zwei klitzkleine einsame Tränen kullerten dabei - einem kurzen Anflug innerer Schwermut entsprungen der irdischen Schwerkraft folgend - über ihre leicht erbebenden Wangenknochen in Richtung kahler Wiesn, wo sie Sekunden später der trockene Sandboden nach und nach vollständig in sich aufsaugte, während sich unsere Fünfergruppe bereits auf den Rückweg zur U-Bahn und mit ihr dann zur Pension "Liesl" begab.

Noch etwas tränenreicher fiel etwa eine Stunde später an einer der Pension nahegelegenen Bushaltestelle unser Abschied von Frau Septus und den Käslers aus. Sandra Käsler umarmte dabei erst Yelena und dann auch mich, wozu sie mir leicht schiefend ins Ohr hauchte: "Ich mag keine Abschiede! Also lebt wohl, Ihr Zwei! Ich wünsch Euch alles, alles Gute!". Dann wand sie sich rasch von uns ab und enteilte, ohne sich noch einmal umzudrehen, auf die gegenüberliegende Straßenseite. Ihre Mutter unterdess verabschiedete uns mit festem Händedruck und sprach: "Pfüat Eich, Herrschaften! Noch a scheene Hochzeitsreisen! Bleibts wias seids und laßts Eich vom Alltagstrott net unterkriagn, gell! Und jetz ist's fei Schluß mit de Sentimentalitäten! Schauts, Eier Bus kimmt! Auf gehts! Gemma!". Sprachs und begab sich mit einem letzten verschmitzten Augenzwinkern zu ihrer Tochter. Annemarie Septus aber strich Yelena und mir zum Abschied mit ihren beiden vom Leben bereits deutlich gezeichneten Handrücken sanft über die Wangen, wozu sie leise hauchte: "Gute Reise, meine Lieben! Einen gutgemeinten Rat möchte ich Euch mit auf den Weg geben: Vergeßt niemals, welch Glück Ihr hattet, Euch zu finden! Genießt angesichts dessen die Euch hier auf Erden geschenkte gemeinsame Zeit! Allzu schnell vergehen die schönen Stunden, und ehe man sich versieht, ist das Leben vorbei! Auf Wiedersehen, Yelena und Lukas!". Nun liefen auch uns die Tränen. Yelena aber schloß die sichtlich gerührte ältere Dame in ihre Arme, während ich ihr sanft über das Haar strich und leise schluchzte: "Danke für alles, Annemarie! Es ist uns eine Ehre, Sie kennengelernt zu haben!". Schweren Herzens lösten sich die beiden Frauen indes wieder voneinander. Und voller Ergriffenheit ergriffen meine Frau und ich nun unser zuvor im Bushaltestellenhäuschen abgestelltes Reisegepäck und bestiegen unseren inzwischen eingetroffenen blauen Linienbus zum Münchner Hauptbahnhof. Annemarie Septus aber winkte uns dabei die ganze Zeit feuchten Auges mit einem Stofftaschentuch nach ... auch noch dann, als selbst die Rücklichter des Busses schon längst ihrem leicht getrübten Blick entschwunden waren.

Knapp anderthalb Stunden später hockten Yelena und ich einander visavis in einem kleinen Abteil des Nachtexpreßzuges in Richtung österreichischer Hauptstadt. Etwas wehmütig hielt Yelena dabei das ihr von Sandra Käsler geschenkte weißblaue Deckchen in Händen und seufzte leis: "Freistaat ade, Scheide tun weh!". Ich versuchte inständig, mir das Schmunzeln zu verkneifen und konnte es dennoch nicht gänzlich verhindern, daß diese dritte unbewußt eindeutig zweideutig vorgetragene Schlüpfrigkeit jenes Tages aus dem süßen, so unschuldig daherredenden Mundwerk meiner frisch angetrauten Ehefrau mir erneut ein leichtes Grinsen aufs Gesicht zauberte. Mein etwas beschämter Blick aber entzog sich daraufhin kurz dem ihren und erspähte im selben Moment aus dem leicht angekippten Zugfenster heraus in der einbrechenden Dunkelheit an einem der vorbeiziehenden Höfe einen großen ausgehöhlten und innerlich von einem flackernden Kerzenlicht schummrig beschienenen Kürbis, dessen harter Schale zudem jemand mit einem Messer auch noch eine schauerliche Fratze eingeritzt hatte. Und so ergänzte ich in stiller Vorfreude auf unseren nächstes Zwischenstop: "Ja ... Bye, bye Bayern und Hello Wien!".

[Wird fortgesetzt]

Der obige Text ist rein dialektisch vollständig bayern-kompatibel. Vielen lieben Dank an unseren daran zum großen Teil beteiligten treuen Bücherwurm Angel!

+++ CRIMINAL MINDS +++ DALLAS +++ CASTLE +++ DOCTOR WHO +++ 24 +++

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M.V.V.M. (19. November 2012, 17:41), Claudia (14. November 2012, 15:12), Angel (10. November 2012, 22:22)

sven1421

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10

Montag, 26. November 2012, 00:59

INSPEKTOR SVENSSON: FLITTERWOCHEN-TAGEBUCH
Eintrag 10


26. September 2009 - Wiener Intermezzo - Vers 1

Der Österreich-Ungarn-Nachtexpreß der Deutschen Bahn brachte uns zügig voran. Nach etwa zwei Stunden Fahrzeit passierte der Zug die Grenze Bayerns zum südlichen Nachbarn und machte knapp eine halbe Stunde später in Salzburg fahrplangemäß Zwischenstation. Unter Beibehaltung jenes Tempos lag die österreichische Hauptstadt nur noch fünfeinhalb Stunden entfernt, und damit nach einem kurzen Taxitransfer vom Wiener Bahnhof Meidling zum Flughafen Schwechat auch der für Yelena und mich vorgesehene Weiterflug nach Südafrika, das Land der kommenden Fußballweltmeisterschaft. Ja, Wien war bei unserer Flitterwochenreise aufgrund seiner gegenüber München günstigen Anschlußflugverbindungen von vornherein als reine Durchgangsstation geplant gewesen. Dennoch hatte ich eins längst begriffen: Nicht ich machte letztlich die Pläne für mein Leben, sondern Gott. Und ER hatte auch in diesem Fall scheinbar wieder einmal ganz andere Pläne als ich oder gar als die Deutsche Bahn. Sein Plan hatte es nämlich - wie uns die junge Schlafwagenschaffnerin unseres Zuges bei einem außerplanmäßigen Halt nahe der romantisch mondbeschienenen Kulisse des Mondsees wortreich mitteilte - vorgesehen, daß auf unserer Eisenbahnstrecke von München nach Wien der Blitz in eines der Stellwerke einschlug und dabei für mehrere Stunden sämtliche Weichen in der unmittelbaren Umgebung außer Gefecht setzte. ER stellte in seiner Allgegenwärtigkeit unterdess die Weichen für unsere Gegenwart, indem er uns durch diesen auf den ersten Blick so widrigen Umstand Zeit für uns schenkte, alle Zeit der Welt. Zeit zum Ausruhen und Schlafen. Und die Zeit, uns auf engstem Raum innig zu lieben. Freilich ließ er uns auch die Freiheit, all dies nicht zu tun, und jene geschenkten Stunden lieber damit zu verplempern, uns über die verspätete Ankunft in Wien aufzuregen, wie es ein Mitreisender im Nachbarabteil nach erfolgter Lautsprecherdurchsage im Zug gegenüber der Schaffnerin deutlich hörbar zu tun pflegte.

Knapp sechs Stunden gingen in der Folge ins Land, ohne das unsere Bahnstrecke wieder freigegeben wurde. Mein ganzes Gesicht war mittlerweile mit dezent verschmiertem rotem Lippenstift übersät. Yelena hockte mit bleicher gewordenem Kirschmund wild zerzaustem Haar noch immer ein wenig schwerer atmend neben mir und kuschelte sich, die Blöße ihres im stehenden Zuge erst so recht in Fahrt gekommenen Körpers nur mit dem rasch übergeworfenen Bettdeck bedeckend, ganz eng an mich. Mit glasigen Augen erlebten wir Beide dabei durch das geschlossene Zugfenster hindurch im Sonnenaufgang über dem Mondsee den für uns bereits dritten Höhepunkt des eben erst anbrechenden Samstags. Was unserem verklärten Blick gänzlich entging, war jener dünne Mann aus dem Nachbarabteil, der mit seinen drei Koffern schwer bepackt keuchend und schaufend an den Gleisen entlang auf ein in wenigen Metern Entfernung mit laufendem Motor wartendes Taxi zustolperte, welches ihn auf sein Verlangen hin auf Kosten der Deutschen Bahn anschließend erst zurück nach Salzburg und vom dortigen Hauptbahnhof aus mittels eines österreichischen Regionalzugs nach Wien bringen sollte. Wütend streckte er unserem Schienenroß die erhobene Faust entgegen, als er auf halbem Wege feststellen mußte, daß der von ihm entgegen dem eindringlichen Bitten der Schaffnerin um noch ein wenig Geduld so Hals über Kopf verlassene Zug sich nunmehr zeitgleich quietschend und zischend ebenfalls in Richtung österreichischer Hauptstadt in Bewegung setzte.

In aller Ruhe kleideten wir uns ein Viertelstündchen später wieder an und ließen uns von der beim Betreten unseres Abteils mit seinem noch immer recht zerwühlten Nachtlager leicht errötenden Schaffnerin zum Frühstück zwei Crossaints und Tee bringen, wobei ich bei letzterem Pfefferminz, meine Gattin hingegen nach altbewährt russischer Tradition einen süßen Schwarzen mit einem ordentlichen Schuß weißer Milch orderte. In aller Ruhe genossen wir jenes bescheidene Morgenmahl, während an uns die atemberaubende Landschaft Ober- und Niederösterreichs vorbeizog. Im Anschluß daran verschwand meine Braut für einen kurzen Moment aufs WC, von wo aus sie mit einem angefeuchteten Papiertaschentuch zurückkehrte, mit dessen Hilfe sie dann sanft reibend die sichtbaren Spuren unserer vergangenen leidenschaftlichen Stunden aus meinem Gesicht hinfortzuwischen begann. Dabei hielt sie immer wieder inne und ersetzte das warme feuchte Papier kurzzeitig durch ihre nicht minder feuchten warmen Lippen und drückte meinem Antlitz damit nur noch mehr rotverschmierte Kußmünder auf, die sie dann erneut wegwischen durfte. Ein sauberes Liebesspiel, das man in dieser Form gut und gern stundenlang fortsetzen konnte, wenn man einander nur eben so gern hatte wie wir Zwei. Und so dürfte es wohl kaum verwundern, daß wir beim letzten weggewischten Kußmund auf meiner Stirn wie von Ferne durch die Zuglautsprecher die Ansage vernahmen: "Wir erreichen in einer Minute den Bahnhof Wien-Meidling". Yelena und ich erhoben uns daraufhin von unseren Sitzen und ergriffen dabei sogleich unsere auf der Gepäckablage direkt über unseren Köpfen abgelegten Reisekoffer, mit denen wir das Abteil in Richtung einer der sich bereits öffnenden Zugtüren verließen.

Auf dem Bahnsteig zeigte die Bahnhofsuhr 11 Uhr 24 an. Unser Flieger in Richtung Südafrika war für 6 Uhr gebucht gewesen und hatte damit vermutlich bei zehn Stunden Flugzeit bereits mehr als die Hälfte der Strecke nach Johannesburg zurückgelegt, allerdings ohne Yelena und mich. Und deshalb rief Yelena noch vom Bahnsteig aus unser Reisebüro in London an, um sich nach den Möglichkeiten einer Umbuchung zu erkundigen. Dort teilte man ihr mit, daß der nächste Flieger von Wien nach Johannesburg erst in exakt 7 Tagen ginge und daß aufgrund unserer speziellen Buchungsmodalitäten ein Direktflug zum darauffolgenden Ziel unserer Reise mit umfangreichen Zusatzkosten verbunden wäre. Lediglich ein Ausweichangebot könne man uns unterbreiten, falls wir mit einem eintägigen Aufenthalt in einem anderen afrikanischen Land einverstanden wären. Yelena flüsterte mir, um mein Einverständnis für jene doch recht einschneidende Kurskorrektur innerhalb unserer Reiseroute einzuholen, den Namen jenes Staates ins Ohr. Mit breitem Grinsen übers ganze Gesicht nickte ich zufrieden und richtete meinen Blick zum Himmel, dessen freie Ansicht mir hier zugegebenermaßen von der Bahnsteigüberdachung ein wenig verbaut erschien. Andere mochten es ja Zufall nennen, daß uns das Schicksal unter allen möglichen afrikanischen Ländern gerade in jenes verschlagen sollte, wo ein sehr guter Freund von mir vor etwa einem Jahr selbst längere Zeit zugebracht und von dessen Einwohnern er mir so viel berichtet hatte. Ich hingegen sah darin eher eine Art Führung. Gott hatte mit dem Durchkreuzen meiner Pläne mal wieder ganze Arbeit geleistet. Und ich war schonmal gespannt, was uns an unserem neuen Reiseziel an interessanten Erlebnissen und Erkenntnissen erwarten würde. Yelena hatte indes schon die komplette Umbuchung in die Wege geleitet. Neuer Abflugtermin war nunmehr 16 Uhr 30 bei einer Flugdauer von etwa achteinhalb Stunden.

Bis zum Airport brauchte man mit einem Taxi vom Bahnhof Meidling aus knapp eine halbe Stunde, blieben uns also noch viereinhalb Stunden für eine kleine Stippvisite in Wien. Und so folgten Yelena und ich dem Ruf, welcher uns aus dem Ghettoblaster eines farbigen Jungwieners entgegentönte und dabei den auf CD archivierten Stimmbändern des bei einem Autounfall ums Leben gekommenen österreichischen Sängers Falco enstammte: "Hello, Vienna Calling!". Am Ausgang des Bahnhofsgebäudes empfing uns dabei strahlender Sonnenschein und ließ uns gemeinsam hin und her überlegen, welche Wiener Sehenswürdigkeit wir in den kommenden Stunden ansteuern sollten: den Stephansdom oder den Naschmarkt, den Prater oder gar das Schloß Schönbrunn. All diese Gedanken schoben wir kurzerhand beiseite, als aus dem Autoradio eines parkenden Taxis, dessen asiatisch anmutender Fahrer uns mit einem Coffee2Go aus dem Fastfoodlokal in der Bahnhofsvorhalle in der Hand zuzwinkerte, die ersten Takte von Peter Cornelius' Schlager "Der Kaffee ist fertig" entgegenströmten. Wozu denn in einer beschaulichen Weltstadt wie Wien von einem Bauwerk zum andern hetzen und sich zwischen Menschenmassen hindurchschlängeln, wenn man in aller Ruhe in einem der unzähligen berühmten Cafehäuser bei ein wenig klassischer Salonmusik mit allen Sinnen genießen konnte. Auch meine Yelena war gleich Feuer und Flamme für meine grandiose Eingebung und schickte sich schon an, auf den kaffeeschwenkenden Asiaten zuzulaufen. Ich aber hielt sie kopfschüttelnd am Ärmel zurück und deutete stattdessen auf eine etwa hundert Meter entfernt stehende offene schwarze Pferdekutsche. Ein weiterer Fingerzeig galt dem großen Koffer in meiner Hand, worauf Yelena zunächst schmunzelnd zu nicken begann und dann von meinem Arm untergehakt mit mir noch einmal ins Bahnhofsgebäude und dort in Richtung der öffentlichen Toilette entschwand.

Fünf Minuten später saßen wir nebeneinander direkt hinter dem Pferdekutscher auf der gepolsterten Sitzbank seines auf Hochglanz polierten Fiakers - Yelena in einem unwerfenden schulterlosen weinroten Satinabendkleid mit halbdurchsichtigem roten Tüllrock und ich im schicken schwarzen Frack mit weißem Seidenoberhemd samt weißer Fliege. Unsere beiden großen, schweren Koffer hatten wir einmal mehr in zwei benachbarten Bahnhofsschließfächern zurückgelassen. Einander die ganze Zeit unablässig verliebt anschauend ließen wir uns nun im Trab der beiden vorm Kutschbock angespannten Rösser ganz entspannt durch die breiten Straßen und die engen Gassen der österreichischen Hauptstadt zu der uns auf Anfrage vom uns Vorsitzenden höchstpersönlich empfohlenen Adresse kutschieren, einem Etablissement in der Wolfgangsstraße mit dem - auf die höchst altmodische Art unserer Fortbewegung dorthin geradewegs zugeschnittenen - Namen "Cafe Rößl".

[Wird fortgesetzt]

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11

Donnerstag, 29. November 2012, 00:00

INSPEKTOR SVENSSON: FLITTERWOCHEN-TAGEBUCH
Eintrag 11




26. September 2009 - Wiener Intermezzo - Vers 2

Im Innern jenes im Stil eines Schachbretts kleinkariert angepinselten Backsteinbaus, welches besagtes Cafe beheimatete, empfing uns neben einem geradezu berauschend intensiven Kaffeeduft eine fesche Dame mittleren Alters, die würdevollen Schrittes auf uns zukam und uns ganz und gar nicht kleinkariert ununwunden per Handschlag begrüßte: "Gestatten, ich heiße zum einen Josepha Amselhuber und zum andern Sie ganz herzlich willkommen im schwarzweißen Rößl in der Wolfgangsstrassn!". Und in die Richtung des neben der ausladend einladenden Kuchentheke angesiedelten Hinterzimmers ergänzte sie forsch: "Kundschaft! Jo, Herrschaftszeiten, wo bleibts denn schon wieder? Leopold, Peter, Alexander!". Alsgleich erschienen drei männliche Anzugträger unterschiedlichen Alters mit einem weißen Geschirrtuch überm vorgehaltenen Unterarm und nahmen der Größe nach wie die Orgelpfeifen nebeneinander vor der Wirtin zu unserer Begrüßung Aufstellung. Den Anfang machte dabei der Herr, der von seiner Größe wie wohl auch vom geschätzten Alter her am ehesten zu seiner Vorsteherin zu passen schien, indem er mit einer tiefen Verbeugung erklärte: "Hawidere, die Herrschaften! I bin der Leo, der Poldi, der Oberkellner hier!". Mit diesen Worten richtete er sich wieder auf und trat ein wenig zur Seite, um so seinem nächstkleineren Kollegen Platz zu machen. Noch bevor der zu seiner Grußformel ansetzen konnte, stürmte der Kleinste mit wehend schwarzer Lockenpracht an ihm vorbei auf uns zu und verkündete, bei seiner kurzen Verbeugung die linke Hand meiner Frau zur ersten allgemeinen Verunsicherung aller Umstehenden ungestüm an sich reißend: "Küß die Hand, schöne Frau! I bin der Peter ...". Ein Seitenhieb vom Ellenbogen des übergangenen Herrn mittleren Alters ließ den voreilig vorgepreschten Jüngling mit leicht schmerzverzerrtem Gesicht vom offensichtlichen Vorhaben eines Handkußes im besonderen wie auch von meiner Frau und mir im allgemeinen Abstand nehmen. Stattdessen verbeugte sich nach jener kleinen Anzüglichkeit nun der mittelgroße Anzugträger extratief vor uns und erklärte: "Verzeihns bittschön, die Dame! Der schwarze Peter, des is halt unser Picolo. Und wenn er so weitermacht, dann is er des wohl auch die längste Zeit g'wesen und wird von der Frau Wirtin höchstselbst wieder zur Mantelhex degradiert!". Schulterzuckend fügte er an meine Adresse hinzu: "Nix für unguad! I bin übrigens der Alexander, meines Zeichens Kellner im Rößl! Grüß Gott, der Herr!".

Die Rößlwirtin nutzte die Gunst jenes versöhnlich gestimmten Augenblicks, um Yelena und mich an einen der zahlreichen Tische zu begleiten und uns dort zwei Plätze anzubieten. In ihrem unmittelbaren Gefolgte erschien Ober Leo und schickte sich an, unsere Bestellung aufzunehmen, indem er mit gezücktem Notizblock und gespitztem Bleistift nachfragte: "Womit kann I der Dame und dem Herrn dienen?". Ein wenig vorschnell beantwortete ich diese Frage mit: "Nun, für den Anfang erst einmal vielleicht mit zwei kleinen Käffchen?!". Mitleidig lächelnd erwiderte Oberkellner Leopold: "Aber meine Herrschaften, Sie san hier in Wien! A kleines Käffchen kann man in jedem andern kleinen Käffchen auf der Welt bestellen! Bei uns hingegen ist Kaffee mit ausdrücklicher Betonung auf die zweite Silben net nur a Getränk sondern a ganz eigene Lebensphilosophie. Und die kommt bei uns je nach persönlichem G'schmacken auch völlig verschieden daher. Für alle Weißsager zum Beispiel als kleiner oder großer Brauner, Melange, Franziskaner und Kaffee verkehrt. Und für die ewigen Schwarzseher als kleiner oder großer Mokka, Einspänner, Überstürzter Neumann, Fiaker, Maria Theresia, Franz Landtmann Kaffee, Mozart Kaffee, Kaffee Sobiesky, Türkischer oder Wiener Eiskaffee. Also bittschön, was darfs sein?!". Ein wenig verunsichert überlegte ich kurz und entschied mich dann aus dem Bauch heraus für eine Melange, bei der - wie ich im Nachhinein erfuhr - die Kaffeetasse zuerst zur Hälfte mit Kaffee befüllt wird und hernach mit heißer, geschäumter Milch und dessen krönenden Abschluß ein Häubchen aus Milchschaum bildet. Yelena hingegen bestellte beim Ober Leo schinbar völlig unbeeindruckt von dessen fachmännischem Vortrag über die Wiener Cafehauskultur eine Latte und erntete dafür ein kurzes Grinsen sowie ein kopfschüttelndes: "Oje, I fürcht, mancher lernts halt nimmer! Also dann a Kaffee verkehrt für die holde Weiblichkeit!". Unmittelbar daran anschließend ergänzte er: "Wars des schon, oder könnten sich die Herrschaften vielleicht auch für eine unserer g‘schmackigen leichtgekühlten Mehlspeisen erwärmen?!". Auch wenn der Begriff "Mehlspeise" bei mir den bitteren Nachgeschmack jenes wenig leckeren aber einem dennoch zumindest ein temporäres Sättigungsgefühl verschaffenden Mehlsüppchens hervorrief, das ich aus der Berliner Nachkriegszeit zur Genüge hatte auskosten dürfen, so beschlich mich zugleich doch die leise Ahnung, daß unser Oberkellner bei seiner Frage wohl eher die reichhaltige Kuchenauslage an der Theke im Auge hatte. Und so erwiderte ich, sämtliche der im Augenblick des Daran-Vorbeigehens zuvor in mein beachtliches Kurzzeitgedächtnis übergegangenen Bezeichnungen der hinter Glas dargebotenen Backwarenpalette wieder abrufend: "Also ich hätte gern ein Stück Apfelstrudel mit Vanillesauce und für meine Gattin vielleicht ein Stück Sachertorte mit Schlagobers?!". Diese Bestellung erhielt sowohl die Zustimmung meiner Yelena als auch die unseres einheimischen Oberkellners. Und noch bevor letzterer eilends zur Vorbereitung des Servierens entschwinden konnte, hakte ich nach: "Ach, einen Moment noch, Herr Ober! Sie haben da in ihrer Auslage vorn im Geschäft ein paar sehr appetitliche mit Schlagwurst belegte Schrippen liegen. Wenn Sie uns da noch zwei als Reiseproviant einpacken könnten?". Oberkellner Leopold reagierte wie aus der Pistole geschossen standesgemäß mit einem: "Bitte sehr, bitte gleich!". Und im Davoneilen murmelte er dazu ergänzend leise vor sich hin: "Jawoll! 2 Wurstsemmeln extra zum Mitnehmen für den Herrn Obers Piefke an Tisch 4".

Die Zeit, bis unsere Bestellung kam, nutze ich, um mich in dem kleinen gemütlichen Lokal einmal ein wenig genauer umzuschauen. Fast schien es so, als sei die Zeit hier irgendwann in den Zwanzigern des vorigen Jahrhunderts stehengeblieben. Die rustikale Einrichtung mit den Stühlen, Tischen und gläsernen Vitrinen ließ jede Art von neumodischem Plastik völlig vermissen. Statt einer popmusikdudelnden Hifianlage beschallte von einem kleinen Podium im hinteren Eck eine dreiköpfige Cafehauskapelle die virtuosen Klänge eines mit künstlerischer Fingerfertigkeit sanft abgetasteten Klaviers, verfeinert und abgerundet vom streichzartem Violinenspiel zweier gestandener Stehgeiger. Die gesamte Atmosphäre erinnerte mich dabei an jenen, mir bis auf den heutigen Tag unvergeßlichen Besuch, den meine Eltern und mein Onkel Fritz mit mir als fünfjährigem Steppke dem Westberliner "Cafe Wernicke" am zweiten Weihnachtstag des Jahres 1949 abgestattet hatten. Wie im Schlaraffenland fühlte ich mich seinerzeit, als ich mit großen staunenden Kinderaugen und weit aufgesperrtem Mund vor all den bunten Torten, Kuchen und Gebäckstücken in der verglasten Auslage stand. Damals wie heute hatte man bei unserem Eintreffen "Ich küsse Ihre Hand Madame" von Ralph Erwin aus dem Jahr 1928 gespielt. Allerdings wechselte hier nun just in dem Moment, da uns von Kellner Alexander unter den wachsamen Augen seines Obers Kaffee und Kuchen aufgetischt wurden, der musikalische Vortrag hin zur "Melodie in F Dur" von Anton Rubinstein aus dem Jahre 1858. Ein bratapfelähnlicher Duft vermengt mit süßer Bourbonvanille stieg mir vom Teller mit dem herrlich dampfend aufgetragenen Apfelstrudel in die Nase, während ich die beiden mir vom Kellner auf einem silbernen Tablett nachgereichten und in Butterbrotpapier eingeschlagenen belegten Brötchen in meinen Frackjackentaschen verstaute. Er vermengte sich dabei mit dem zarten Hauch frisch gebrühten Kaffees, welcher gleichsam meiner Melange entströmte wie auch der österreichischen Variante eines italienischen Caffe Latte in den Händen meiner geliebten Yelena. So lecker wie der Strudel duftete, schien die schlagsahnegekrönte schokoladenummantelte Sachertorte meiner Angetrauten zu schmecken, wie ich dem genüßlichen Verdrehen ihrer Augen und all den dazu ausgestoßenen vollmundigen "Ahhs" und "Ohhs" entnehmen durfte. So ließ nun auch ich mir dann mit halbgeschlossenen Augen mein apfelstück- und rosinenhaltiges Meisterwerk alpenländischer Blätterteigbackkunst munden, wobei ich mir die erlesene Komposition seiner Zutaten bei jedem einzelnen Bissen förmlich auf der Zunge zergehen ließ.

Als ich nach dem vollständigen Verzehr jener kulinarischen Gaumenfreude an meiner Melange zu nippen begann und dabei die Augen langsam wieder ganz auftat, bemerkte ich, daß an unserem Nebentisch inzwischen ein weiterer Gast platzgenommen hatte. Jener ältere Herr hatte wie ich auch eine hohe Stirn, allerdings setzte die seine noch höher beziehungsweise vielmehr rückwärtig tiefer an als die meinige. Sein längst nicht mehr ganz faltenfreies Gesicht krönte zudem ein silbriger Schnauzer, der sich nach beiden Wangen hin scheinbar dazu anschickte, einen Vollbart darstellen zu wollen, während er das erhabene Kinn des Herren vollständig aussparte. Seinen leuchtenden Augen aber überdachten zwei große buschige Augenbrauen, die angesichts ihrer Farbgebung allerdings eher Augengrauen hätten heißen müssen. Und während das Cafehaustrio zu einer eigenen Variation des auch als Deutsche Nationalhymmne etablierten Deutschlandliedes von Joseph Haydn ansetzte, schaute ich immer wieder zu dem Herrn herüber, dessen Antlitz mir auf eigenartige Weise irgendwie von irgendwo her vertraut vorkam. Irgendwann winkte schließlich den Picolo Peter zu mir heran und flüsterte ihm leise ins Ohr: "Das Gesicht von dem Herrn am Nachbartisch kommt mir irgendwie bekannt vor. Kennen Sie den vielleicht?". Lauthals gab uns Peterle wie aus der Kanone geschossen zur Antwort: "Kloar kenn I den, den kennt a jeder hier! Des is doch der Kaiser". Und dabei zeigte er mit dem nackten Finger sekundenlang auf besagtes Mannsbild. Dem Herren war das damit deutlich bekundete Interesse an seiner Person natürlich keineswegs verborgen geblieben, und so nickte er freundlich mit dem greisen Haupt und erklärte in geradezu feierlichem Tonfall: "Gestatten! Kaiser, Franz-Josef. Der erste ... also der erste Eigentümer und mit meinen nunmehr knapp 96 Lenzen bereits zu Lebzeiten eine feste Institution jenes von mir im Jahre 1936 in guter alter K&K-Kaffeehaustradition errichteten Hauses". Erst jetzt wurde mir bewußt, daß die Herren Musiker ihr zuletzt gespieltes Werk, dessen Melodie eben nicht nur die des Deutschlandlieds sondern bereits zuvor auch die der ehemaligen österreichischen Kaiserhymmne "Gott erhalte unsern Kaiser" war, als kleine Anspielung auf jenen altehrwürdigen Herrn angestimmt hatten, vor dem sie sich nun - nach Beendigung ihrer Darbietung - mit höfischem Knicks verneigten. Franz-Josef Kaiser aber winkte ihnen sichtlich gerührt zu, wobei er zugleich doch etwas reserviert wirkend bemerkte: "Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut!". Und den Oberkellner per Handzeichen zu sich beordernd, bestellte er bei dessen Eintreffen am Tisch: "I bin heuer irgendwie in Sektlaune und hätt' daher jetzt gern mal einen ordentlichen Picolo!". Ober Poldi nahm den Wunsch seines Stammgastes umgehend auf dem obersten Blatt seines Notizblocks auf, wobei er kurzen Seitenblick zu seinem nahe der Theke herumlungernden, oftmals vorlauten Gesellen Peter mit dem stets arg verwuschelten Lockenkopf und den nie gänzlich unbefleckten weißen Hemdsärmeln herüberschielte und sich dabei leise seufzend in seinen nicht vorhandenen Bart murmelte: "Ja, so an saubern Picolo, den hätt' I freilich manchmal auch ganz gern!"

Kaum hatte der Herr Kaiser sein Glas Sekt vom Kellner Alexander serviert bekommen und die kleine Cafehauskapelle zum temporär recht temporeichen "Ungarischen Tanz Nummer 5" aus der Feder von Johannes Brahms angesetzt, da wurde die Cafehaustür von außen weit aufgerissen und ein mir in Größe und Gestalt unheimlich ähnlicher Mann in speckig-verschlissener Soldatenuniform stürmte in das Lokal. Oberkellner Leopold packte daraufhin den ungestümen Eindringling am Kragen und erklärte mit dem erhobenen Zeigefinger eines Oberlehrers: "Hey Sie da, Herr Gefreiter! Des hier is a K&K-Kaffeehaus und ka Sturmlokal! Also beruhigens Ihnen gefälligst oder verschwindens wieder!". Der aufgeregt um sich schauende Festgehaltene entschied sich blitzschnell für die zweite Option, entzog sich dem Zugriff des Oberkellners und flüchtete in Windeseile durch das für den Besucherverkehr eigentlich gesperrte Hinterzimmer und von dort mit einem beherzten Sprung aus dem sperrangelweit offenstehenden Fenster in den Hinterhof. Im selben Moment aber wurde die Vordertür des Cafes erneut aufgestoßen und ein großer Schäferhund kam hechelnd ins Lokal gelaufen, wo er nach kurzer Rundumschau direkt auf unseren Tisch zusteuerte, um im nächsten Augenblick knurrend und zähnefletschend neben dem Tischbein Stellung zu beziehen. Ein älterer Herr in Hemd und Anzug baute sich nur Sekunden später mit entsicherter Pistole im Anschlag vor mir auf. Kaum weniger nach Luft hechelnd als der ihm zu Füßen sitzende Hund selbst nuschelte er schließlich nach einer kurzen Verschnaufpause: "Ja also, I glaub der Rex hat was g'funden! I frag mi nur, wie Du Bürschel so schnell hast Dei Uniform ablegen und in den saubern Frack eineschlupfen könn! Aber des krieg I scho noch raus!". Während er so redete, überschlugen sich die Wörter innerhalb seiner Ausführungen immer wieder fast gegenseitig, wobei deren letzte Buchstaben stets Gefahr liefen, noch vorm Austritt aus dem trockenen Mund völlig auf der Strecke zu bleiben. Und auch das Gestikulieren seiner unermütlich auf und nieder fuchtelnden Hände schien dabei mehr und mehr komplett aus dem Ruder zu laufen. Ich hingegen wartete erst einmal in aller Ruhe ab, bis der aufgeregte Herr mit dem Schießeisen bei seinem hitzigen Ein-Mann-Wortgefecht die nächste Atempause einlegte, dann verschränkte ich seelenruhig die Arme vor meiner Brust und fragte: "Entschuldigen Sie bitte, aber wer sind Sie eigentlich und was wollen Sie von mir?". Zwei große Augen starrten mich einen Moment lang völlig entgeistert an, dann fand das zugehörige Mundwerk die Sprache wieder und erwiderte: "Aber da hört sich ja alles auf! Wer I bin fragt er! Wer I bin?! Auf alle Fäll net Dei Hanswurst! Moser mein Name, Kommissar Ha.. Ha.. Hatschi ... Moser. Und was I will, des is Di eisperrn! Weils meinem Bruder, dem Richie, mit deiner Wummen des Licht ausg'knipst hast, Du Massenmörder und Kriegshetzer, Du!". Ich zog meine Schultern hoch und gab dem Herrn Kommissar, der sich gerade mit einem Stofftaschentuch die hakige Nase putzte, dabei klar und deutlich zu verstehen: "Erstens kenne ich gar keinen Richie, und zweitens sitz ich schon seit einer halben Stunde hier im Cafe. Da können Sie gern auch meine Frau fragen". Ein abgehacktes, künstlich klingendes Lachen enteilte Mosers pausenlos unruhig auf und ab zuckenden Mundwinkeln, woraufhin er nur leise abwinkend meinte: "A guader Witz! Dei Frau, wie?!". Und an Yelena richtete er gezielt die Frage: "Hörens amal Fräulein, bedroht sie dieser ausg'schamte Kerl hier etwa?! Was hat er Ihnen denn scho alles zug'sagt und versprochen, wenn Sie sei Aussag' bestätigen?". Yelena aber beugte sich vorsichtig zu Moser herüber und raunte ihm dann in sein ihr zugeneigtes Ohr: "Er mir versprochen haben Ehe. Und er mir dabei angedroht haben vor Zeugen bei Traualtar, daß er mich lieben und ehren bis an Ende von mein Leben!".

Nachdenklich kratzte sich der grauhaarige Kriminalist mit seiner Waffe am Kopf: "Jessus na, nu kenn I mi gar net mehr aus! Dann is des also wahr, und diese Mannsperson is mit Ihnen leirt?!". Aus dem Hintergrund vermeldete die harsche Frauenstimme der Rößlwirtin in dieser Sekunde ein wenig ungehalten: "Ganz recht! Und der flüchtige Übeltäter is längst schon auf und davon, hinten heraus durchs Fenster zum Hof, Herr Inspektor". Der Kommissar winkte nur müde ab: "I bin ka Inspektor net, und I war auch nie aner!". An dieser Stelle hielt ich es für durchaus angebracht, mich dem österreichischen Kollegen endlich einmal in aller Form vorzustellen, indem ich anmerkte: "Ich schon! Gestatten: Lukas Svensson, Yardinspektor a.D.". Mosers greises Haupt senkte sich langsam, wozu er feststellte: "Ojemine, was bin I doch für a Rindviech! A Inspektor a.D. ... Da kann I ja selber a scho a mal Ade sagen zu meiner in Kürze bevorstehenden Pension! Wann des im Revier die Rund' macht, dann werd I unehrenhaft auseghaut und kann die letzten paar Monat bis zur Rent noch die Straßn kehrn. I versteh die Welt nimma! Die Nas vom Rex hat doch noch nie versagt! Habens da net doch wenigstens a paar Gramm Ha... Ha ... Hatschi-sch in der Jackentaschen von ihrem Frack oder wenigstens a paar klitzekleine Leichenteil, Herr Kollege?!". Und während der leichtverschnupfte Kommissar erneut sein Stofftuch hervorkramte, um sich mit dessen einer Seite erneut den imposanten Riechkolben abzuwischen und sich anschließend im Handumdrehen mit der anderen Seite die Schweißperlenansammlung von der faltigen Stirn zu putzen, dämmerte es bei mir endlich. Zur deutlichen Verwunderung des mir zur Seite stehenden Beamten verlautbarte ich: "Wenn das gewünschte Leichenteil auch von einem toten Tier stammen darf, also dann schon!". Damit entzog ich kurzerhand meiner rechten Frackjackentasche das ihr zuvor eigenhändig einverleibte belegte Brötchen und präsentierte es erst dem auf der Stelle aufgeregt mit dem Schwanz wedelnden Polizeihund zu meinen Füßen und dann seinem, bei dem Anblick nicht weniger freudig erregt erscheinenden Herrchen. Moser triumphierte förmlich, während er mir das Brötchen entriß, sich niederkniete, es seinem haarigen Partner mit der kalten Schnauze langsam in selbige hineinschob, und ihm anschließend ununterbrochen über das seidige Fell kraulend leise zuraunte: "A Wurstsemmel war der Übeltäter! Die hat den Rex abg'lenkt! Braves Hunderl! Friß Di nur recht schön satt, und dann jagn wir g'meinsam den bösen Stummelbart-G'freiten Adi mit seiner Uniform! Wir zwei kriegn den Lumpen scho zu fassn, net wahr?!". Fast erschien es mir dabei so, als würde der Schäferhund Rex dem Moser beim eiligen Herunterschlingen des letzten Brötchenbissens zunicken, woraufhin die beiden Polizeischnüffler nahezu zeitgleich aufsprangen, losliefen und beim unmittelbar darauffolgenden vereinten Durchsteigen des Cafehinterzimmerfensters die verlorene Fährte des verschollenen Verbrechers erfolgreich wieder aufnahmen.

Im Cafehaus Rößl aber kehrte mit dem spontanen Abgang von Moser und Rex endlich wieder die von mir so geschätzte himmlische Ruhe ein, die die drei Cafehausmusikusse akustisch noch durch das leise Anstimmen des Petersburger Marsches unter instrumentaler Zuhilfenahme von Piano und Violine zu unterstreichen suchten. Das Erklingen jenes Marschliedes, an dessen eingänglicher Melodie sich auch der Berliner Gassenhauer "Denkste denn, Du Berliner Pflanze" orientierte, löste sowohl bei Yelena als auch mir ein seltsames Kribbeln in Armen und Beinen aus und bewegte mich letztlich sogar zu einer für mich als selbsterklärter Nichttänzer völlig überraschenden Aufforderung an meine holde Braut, welche aus nur drei Worten bestand: "Darf ich bitten?!". Zu meinem weiteren Erstaunen sagte die hierauf keineswegs vorbereitete Yelena nicht einmal Nein, sondern gleich zweimal Ja. Jetzt gab es kein Zurück mehr! Und so geleitete ich meinen Schatz kurzerhand auf die freie Parkettfläche direkt vor dem Orchesterpodium, legte meine rechte Hand in ihre linke und meinen linken Arm um ihre schlanke Taille, um sie dann - wenn auch ungeübt und daher sicher etwas tolpatschig - im Kreis mit mir herumzuwirbeln. In den nächsten zwei Minuten sahen wir uns einfach nur tief in die Augen und vergaßen dabei die verschwimmende Welt rings um uns herum. Einmal in unserem Leben drehte sich einfach alles nur um uns - meine Yeli und ihren Luki. Erst das Ende vom Lied ließ uns abrupt auf den Boden der Tatsachen zurückkehren. Und ein kurzer Blick zur Taschenuhr verdeutlichte mir dabei, daß sich unser kurzes wundervolles Wiener Intermezzo langsam seinem Ende zuneigte. Wieder an unserem Tisch angelangt, erhob ich daher die rechte Hand und rief: "Ober, zahlen!".

Der gute alte Herr Leopold kam gemächlich auf uns zugeschlendert, zog dann seinen Notizblock hervor und präsentierte uns die Rechnung, die in meinen Augen dank der hier im schwarzweißen Rößl verlebten aufregenden Stunden samt großzügigem Trinkgeld jeden einzelnen Euro wert war. Im Gegenzug strich Oberkellner Poldi die Bemerkung mit dem "Obers Piefke" auf unserer Rechnung aus und ersetzte sie durch ein: "Als kleines Dankeschön des Cafe Rößl eine kostenlose Wurstsemmel extra für den Gentleman und seine charmante 1st Lady an Tisch 4". Dazu schob er mir mit zugekniffenem linken Auge unauffällig ein weiteres extra reich belegtes und liebevoll in Pergamentpapier eingeschlagenes Brötchen in meine rechte Jackentasche und flüsterte ganz leise, so daß nur ich es hören konnte: "Entschuldigens bittschön, I hab Sie wohl völlig falsch eing'schätzt! Denn mit dem unliebsamen Gehabe eines knausrigen, ewig umanand grantelnden Piefke hatte Ihr kleines Gastspiel hier in unserm altehrwürdigen Hause aber auch so gar nix zu tun. Im Gegenteil! I glaub beinah, aus Ihnen könnt unter g'wissen günstigen Umständen mit a bißerl Übung sogar noch a recht passabler Wiener werdn". Ich aber klopfte ihm angesichts jener ausgesprochenen Ehrenbezeugung anerkennend auf die stofflich leicht abgepolsterte Schulter und erwiderte in feinstem Altberliner Hinterhofjargon: "Na, det Jeschäft is richtich, Männeken!". Und während uns die Cafehausmusikanten hintergründig mit dem Evergreen "Sag beim Abschied leise Servus" aus der Feder des Komponisten Peter Kreuder gleichsam ihr kleines musikalisches Lebwohl mit auf den Weg gaben, verabschiedeten sich Yelena und ich beim Ausgang noch ausgiebig von Picolo Peter, Kellner Alexander und der Rößlwirtin. Letztere bedankte sich bis zum Eintreffen der eigens von ihr für uns telefonisch herbeigerufenen Pferdedroschke noch unzählige Male für unseren Besuch in ihrer gastlichen Stätte und bedauerte dabei stets im selben Atemzug zugleich immer wieder aufs Neu die zwischenzeitlichen Unannehmlichkeiten mit der hiesigen Polizei.

Im liebgewordenen Fiaker ging es dann zuerst zur Abholung unseres dort lagernden Reisegepäcks zum Wiener Bahnhof Meidling zurück und anschließend weiter zum Wiener Flughafen Schwechat, wo wir am Schalter unserer Reisegesellschaft "King Travels" die bereits für uns hinterlegten Flugtickets in Empfang nahmen. Noch ein halbes Stündchen verbrachten wir am Check-In von Gate 24 und starteten dann mit "East African Air" in Richtung unseres nächsten Reiseziels Sangala ...

[Wird fortgesetzt]

Mein tiefempfundener Dank dafür, daß dieser Abschnitt in seiner dem Wienerischen durchaus sehr verbundenen Dialektik letztlich auch den kritischen Blicken meiner potientiell vorhandenen österreichischen Leserschaft standzuhalten vermag, gilt an dieser Stelle einmal mehr meinem Forumspartner M.V.V.M., welcher sich mit fach- wie auch weltmännischen Auge jenes ihm zuvor vorgelegten Textes annahm!


UND SO GEHT ES WEITER: An den kommenden vier Adventssonntagen erobern die frischvermählten Svenssons Yelena und Lukas damit nun per Flugzeug die Welt. Die vier Stationen ihrer Flitterwochen-Welttournee werden dabei neben dem schon erwähnten fiktiven afrikanischen Staat Sangala noch die durchaus sehr realen Metropolen New York, Peking und Sankt Petersburg inklusive kurzem Abstecher nach Moskau sein. Und was sie dabei erleben, ist keineswegs immer nur der geplante Honeymoon ... ganz und gar nicht!

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Claudia (29. November 2012, 12:59), Angel (29. November 2012, 00:19)

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12

Sonntag, 2. Dezember 2012, 23:33

DAS FLITTERWOCHEN-TAGEBUCH DES LUKAS SVENSSON
Eintrag 12


27. September 2009. Unser Gastspiel im afrikanischen Sangala. Erster Abschnitt.

Schwülwarme 24 Grad Celsius empfingen uns bei unserer nächtlichen Ankunft auf dem "J.B. International Airport" der sangalesischen Hauptstadt, die einst Mali Baso hieß und erst vor kurzem in Jumanji - was in der Landessprache soviel bedeutet wie "Nie wieder Juma!" - umbenannt worden war. Dies aber war der Tatsache geschuldet, daß hierzulande vor einem guten halben Jahr ein Rebellengeneral namens Juma mit einem Heer aus Söldnern und Kindersoldaten im Handstreich die Macht an sich gerissen und in den darauffolgenden vier Monaten seiner diktatorischen Blutherrschaft durch sogenannte ethnischen Säuberungen mehr als 200000 Sangalesen auf grausamste Art und Weise umbringen lassen hatte. Der Versuch des Diktators, den durch das militärische Eingreifen von US-Truppen in Sangala bereits unmittelbar bevorstehenden Sturz seines Gewaltregimes seinerseits mittels illegaler Einreise in die USA und einem Überfall auf das Weiße Haus samt Geiselnahme mehrerer Mitglieder der Präsidentenfamilie zu unterbinden, endete dann in einem erfolgreichen Befreiungsschlag meines amerikanischen Freundes Jack mit der Tötung Jumas. Im Anschluß daran aber gelang auch der US-Army innerhalb weniger Tage in schweren und auf beiden Seiten gleichermaßen verlustreichen Kämpfen die vollständige Rückeroberung Sangalas. Als Regierungschef des Landes war seitdem vorübergehend, bis zur für den 24.Januar 2010 festgesetzten Durchführung freier demokratischer Wahlen, dessen vorheriger Premierminister Matobo wiedereingesetzt worden.

All dies hatte ich nicht nur aus den Nachrichten und von meinem Freund Jack erfahren, welcher sogar selbst noch bis zum Tag der Machtergreifung Jumas in Sangala verweilt hatte und sich mittlerweile nach seiner raschen Genesung von den Nachwirkungen einer biologischen Kampfstofffreisetzung in einem New Yorker Hotel ganz in der Nähe seiner Tochter und derer Familie aufhielt, sondern auch von Maik L. Lenden, der während unseres Fluges die ganze Zeit direkt neben Yelena und mir gesessen hatte. Maik war Mitarbeiter der schweizerischen Hilfsorganisation "Engel auf Erden", die es sich unter anderem zur Aufgabe machte, in Krisenregionen weltweit die Armut, den Bildungsnotstand, den Mangel an medizinischer Grundversorgung sowie den Hunger zu bekämpfen, indem sie - allein auf freiwillige Spenden von Privatpersonen aus aller Welt gestützt - vor Ort ganz gezielt konkrete Hilfe zur Selbsthilfe anbot. Mehr als einmal war in Maiks Augen beim Berichten über das äußerst spannende Wirken seiner Organisation ein geheimnisvolles strahlendes Leuchten eingekehrt, wenn er darauf zu sprechen kam, daß das Hauptaugenmerk seiner Arbeit in der Vermittlung und Vor-Ort-Betreuung von Patenschaften für hilfsbedürftige Kinder bestand. Dabei gipfelten seine dahingehenden Ausführungen stets in ein und derselben Aussage, welche da lautete: "Ohne Kinder gibt es für die Menschheit keine Zukunft".

Aber nicht nur jener denkwürdige Kernsatz des jungen Schweizers beeindruckte mich ungeheuer - nein, die ganze Art und Weise, wie er mit einer kaum zu übertreffenden ansteckenden Begeisterung von seiner keineswegs leicht anmutenden Tätigkeit erzählte, zog Yelena wie auch mich von der ersten Sekunde an in seinen Bann. Und so klebten wir die ganze Zeit unseres gemeinsamen Fluges über förmlich an seinen Lippen, wenn er davon sprach, daß er sich jedes Mal selbst wie ein kleines Kind freue, wenn einer seiner Schützlinge irgendwo in den bessergestellten Ländern für die im Grunde genommen bescheiden anmutende und dennoch so unheimlich gewinnbringende Spende von nur etwa einem Euro pro Tag einen Paten oder eine Patin gefunden habe. Könne man doch besagtem Kind damit hier in Sangala neben drei festen Mahlzeiten am Tag und einer überlebenswichtigen minimalen ärztlichen Versorgung auch den Besuch einer Schule und später gar einen heißbegehrten Ausbildungsplatz sicher gewährleisten. Gerade letzteres aber käme dann auch der Familie und dem Umfeld des Kindes zugute, da ein fertig ausgebildeter Handwerker oder eine gelernte Schneiderin über den Lohn für ihre Arbeit neben dem eigenen Lebensunterhalt oft auch noch für den Unterhalt der anderen sorgen würden. Viele der ehemals betreuten und inzwischen erwachsenen Patenkinder von "Engel auf Erden" bauten in ihrem Dorf Lehmhütten, errichteten Brunnen und schlichte Bewässerungsanlagen für die Felder, die dann wiederum andere aus ihren Reihen ganz effizient bewirtschafteten. An dieser Stelle benutzte Maik L. Lenden übrigens das wundervolle, geradezu biblisch anmutende Bild eines kleinen Steinchens, welches ins bislang stille Wasser geworfen rings um sich herum weitreichende Wellen schlug.

Unsere mehrstündige Anreise hoch über den Wolken aber war bei all dem wie im Fluge vergangen, und so standen wir eben nun um 1 Uhr nachts Ortszeit mit unseren Koffern am Hauptausgang des Flughafens von Jumanji zusammen. Frack und Abendkleid hatten Yelena und ich dabei auf Anraten unseres Reisebegleiters noch im Flugzeug gegen eine leichte und bequeme, eher tropentaugliche Kluft ausgetauscht. Wir hatten uns bereits darauf eingerichtet, den Rest der Nacht bis zum Anbruch des nächsten Tags im Flughafengebäude zu verbringen, um uns dann in der Nähe eine Unterkunft zu suchen. Und so schickten wir uns auch schon an, uns von Maik zu verabschieden, als dieser uns jene entscheidende, all unsere wagen Vorstellungen vom uneingeplanten Aufenthalt hierzulande mit einem Schlag komplett über den Haufen werfende Frage stellte: "Hättet Ihr Zwei nicht vielleicht Lust, Euren Zwischenstop hier in Sangala als meine Gäste in meinem Erdenengel-Kinderdorf zu verbringen?". Weder Yelena noch ich brauchten auch nur eine Sekunde Bedenkzeit. Und so nickten wir sofort einstimmig mit unseren Köpfen. Schon drei Minuten später aber kletterten wir mitsamt unserem Gepäck auf die Ladefläche von Maiks auf dem Airportgelände abgestellten Jeep. Kaum hatten wir dort platzgenommen, da blinzelte uns Maik vom vorderen Sitz her zu und verkündete: "Also dann, auf ins Abenteuer! Und vor allem: Gut festhalten, meine Freunde!". Ein ausgesprochen guter und nützlicher Ratschlag, wie uns rasch bewußt wurde, gab es doch weder für unser Gepäck noch für uns selbst eine Möglichkeit zum Anschnallen. Und so hopsten wir bei Maiks rasanter Fahrweise und einem unbefestigten Querfeldein-Sandweg, der weitaus mehr aus Schlaglöchern als aus Sand zu bestehen schien, in der kommenden halben Stunde abwechselnd mit unseren Koffern um die Wette in die Höhe und dann - der Erdanziehungskraft folgend - wieder zurück auf die harte Ladeflächenbodenplatte. An uns vorbei aber flog im großen Lichtkegel der Jeepscheinwerfer die Landschaft, die aus jeder nur erdenklichen Art tropischer Vegetation, unterbrochen von trostlos wirkender Einöde und einzelnen größeren Wasserstellen und Seen bestand.

Irgendwann erschienen zu beiden Seiten der vermeintlichen Straße vereinzelt kleinere und größere Lehm- und Bretterhütten, deren Anzahl dabei ebenso stetig zunahm wie der Abstand zwischen ihnen sich gleichzeitig verringerte. Maik aber vollführte dazu am Steuer seines Jeeps mit links eine recht ausladende Handbewegung und erklärte: "Was Ihr hier seht, ist unser Dorf Mila-Bosa. Gleich sind wir zuhause!". Vor einer kleinen Lehmhütte, deren spitz zulaufenes Dach aus Schilfrohr bestand, machte unser fahrbarer Untersatz dann abrupt halt. Langsam erhoben wir uns von unseren Sitzplätzen und stiegen, unsere feuerroten Gesäßhälften andächtig reibend, auf wackligen Füßen von der Jeepladefläche. Maik entschuldigte sich beim Anblick unserer leicht schmerzverzerrten Gesichter auf dem gemeinsamen Weg in die Hütte noch ein gutes Dutzend bei uns für die Unannehmlichkeiten der Fahrt, erklärte aber gleichzeitig auch, er habe halt nur versucht, uns durch die gerade Nachts recht unsichere einsame Gegend sicher zu sich nach Hause zu bringen. Als kleine Wiedergutmachung bot uns unser Gastgeber im Innern seines bescheidenen Zuhauses im schmummrigen Licht eines inmitten der Behausung rasch entfachten Lagerfeuers noch einen Schluck von den Dorfbewohnern selbsthergestelltes Bananenbier und in einem Keramikschälchen einen mit dem ausgepreßten Saft roter Früchte zur Hälfte selbst eingefärbten, kleingestampften süßen Reisbrei an - eine sehr leckere Art weißroter Grütze, welche er bezugnehmend auf seine ursprüngliche Heimat und deren Landesfarben liebevoll "Schweizer Grützi" getauft hatte. Unser "Eßtisch" wie auch die dazugehörigen Sitzgelegenheiten bestanden dabei aus selbstgefertigten, auf dem Holzbretterfußboden ausgelegten Schilfmatten unterschiedlicher Größe. Im Anschluß an jenes kleine Willkommensmahl aber richtete uns der Hausherr aus zwei großen Schilfmatten in einem separaten Nebenraum der Hütte unser Nachlager und lud uns beim Zubettgehen in einem Atemzuge mit dem Wunsch einer Guten Nacht gleich noch dazu ein, ihn doch nach dem Aufstehen einmal einen Tag lang bei seiner Arbeit innerhalb und außerhalb der Dorfgrenzen zu begleiten. Eine Einladung, die wir - gespannt auf unser erstes Zusammentreffen mit der einheimischen Bevölkerung - natürlich nur allzu gern dankbar annahmen.

[Wird fortgesetzt]

Allen Leserinnen und Lesern unserer kleinen Geschichtchen wünschen Lukas & Yelena Svensson wie auch ihr geistiger Vater Sven einen schönen und gesegneten 1. Advent! :kerze:

+++ CRIMINAL MINDS +++ DALLAS +++ CASTLE +++ DOCTOR WHO +++ 24 +++

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13

Freitag, 7. Dezember 2012, 11:47

INSPEKTOR SVENSSON: FLITTERWOCHEN-TAGEBUCH
Eintrag 13




27. September 2009. Gastspiel in Sangala. Zweiter Abschnitt.

Mit dem Einschlafen dauerte es bei Yelena und mir in dieser, eh schon weit vorangeschrittenen Nacht noch eine ganze Weile. Zu ungewohnt war für uns das feuchtwarme Klima, zu groß der nächtliche Appetit der hier reichlich vorhandenen Mückenschar, die sich für unser exotisches europäisches Blut wärmstens zu interessieren schien. Und so nutzten wir unsere ausgedehnte Einschlafphase neben dem Dezimieren jener blutsaugenden Plagegeister mit den bloßen Händen auch dazu, um die Grillen vor der Hütte bei ihrem Zirpen zu belauschen und dabei in ähnlicher Lautstärke wie der ihrigen leise innige Liebesbekundungen auszutauschen. Irgendwann überkam uns trotz der genannten Hindernisse aber dennoch süßer Schlaf, aus dem wir allerdings morgens gegen 6 Uhr bereits wieder unsanft geweckt wurden. Schuld daran war ein Hahn, der uns unweit der Hütte mit seinem frühmorgendlichen Weckruf beglückte, und dessen Sangesdarbietung alsbald auch vom vereinzelten Muhen einiger Rindviecher, dem Meckern einer alten Ziege und dem aufgeregten Grunzen und Quiecken eines kleinen Ferkels begleitet wurde. Noch bevor ich meine Augen richtig aufbekam, stieg mir dabei ein lieblicher Duft von Frischgebackenem in die Nase, der - wie ich, ihm mit kriminalistischem Spürsinn nur in Unterhemd und Boxershorts nachgehend, ermittelte - von einem kleinen steinernen Backofen hinter unserem Schlafgemach herrührte. Dort angelangt, empfing mich und meine, mir unmittelbar nachfolgende Frau unser Gastgeber Maik mit freundlichem Lächeln und einem liebevoll gedeckten Campingtisch, in dessen Mitte übereinandergestapelt ein halbes Dutzend noch dampfender Maisbrotfladen sowie drei randvoll gefüllte Becher mit frisch gemolkener Ziegenmilch auf uns warteten. Es duftete einfach herrlich, und mundete genauso, nachdem wir uns zuvor mittels einer kleinen Waschschüssel und etwas Wasser aus einem bereitstehenden Plasikkanister selbst ein wenig frisch gemacht hatten.

Bevor wir allerdings draußen am Campingtisch platznahmen, führte uns Maik noch einmal in seinen Teil der Hütte und präsentierte uns an dessen einer Wand seine umfangreiche Sammlung an Kopfbedeckungen, in der vom Tropenhelm und Cowboyhut über verschiedene Strohhutexemplare bis hin zum Basecap und diversen bunten wie auch einfarbigen Kopftüchern alles vertreten war. Ich zählte insgesamt 24 verschiedene Hüte und 1 Basecap sowie sage und schreibe 72 Tücher. Breitgrinsend verkündete Maik am Ende seiner Präsentation: "Meine Kollegin Vicky meint immer, ich hätte mehr Kopfbedeckungen an meiner Wand als manche reiche Lady Schuhe in einem begehbaren Schuhschrank und sei daher zweifelsohne der bestbehütetste Mann Afrikas, wenn nicht gar der ganzen Welt". Seine Augen aber befiel bei dieser Aussage ein seltsames Funkeln, wobei ich nicht festzustellen vermochte, ob dieses von dem Stolz auf seine kollosale Sammlung oder der bloßen Erwähnung des Namens Vicky herrührte. Wie dem auch sei, Maik überreichte Yelena in aller Eile einen der Strohhüte, mir hingegen einen ollen Tropenhelm aus längst vergangenen Kolonialzeiten und wechselte dann - da er mein Grübeln scheinbar längst bemerkt hatte - blitzschnell die bislang noch ein wenig blasse Gesichtsfarbe wie auch das Thema, indem er uns zu Tisch bat.

In Anschluß an unser gemeinschaftliches Frühstück erklärte uns Maik, was er den Tag über mit uns vorhatte und lieferte uns auch noch ein paar zum Teil doch recht schwerverdauliche Fakten über Sangala und seine Bevölkerung: Etwa 60 Prozent der Einwohner würden nach den Maßstäben der Weltgesundheitsorganisation als unterernährt gelten, etwa 40 Prozent seien Analaphabeten. Jede sangalesische Mutter gebähre in Durchschnitt 6 Kinder, woraus sich erkläre, daß mehr als die Hälfte aller Sangalesen unter 16 Jahre alt sei. Von diesen Kindern wiederum würden noch nicht einmal die Hälfte ihren fünften Geburtstag erleben, sondern bereits vorher an Unterernährung oder an einer auftretenden und nicht oder nicht rechtzeitig behandelten Krankheit sterben. Maik erkannte die Betroffenheit, die sich angesichts all dessen in unseren Gesichtern abzeichnete. Traurig senkte auch er sein Haupt, wobei er zugleich seufzend bekannte: "Und die Realität hier vor Ort ist oftmals noch viel erschütternder, als es sich in bloßen Zahlen ausdrücken ließe!". Im gleichen Atemzug aber schnellte sein Kopf bereits wieder ganz nach oben, seine etwas glasig gewordenen Augen suchten und fanden den leuchtendblauen Himmel und die Sonne mit jenem strahlenden Lächeln, welches alsgleich auch wieder in sein Gesicht einkehrte. Und so ergänzte er rasch: "Aber es gibt Hoffnung! Eine Hoffnung, die wir diesem armen und dennoch so reichen Land geben. Wir als Engel auf Erden, aber vor allem auch jeder Einzelne, der unser Wirken hierzulande durch Übernahme einer Patenschaft oder eine, wenn auch noch so kleine, Spende tatkräftig unterstützt. Und was eben diese Hilfe von außen hier im Herzen Afrikas alles zu bewirken vermag, das zeige ich Euch jetzt!". In Riesenschritten enteilte er damit in Richtung seines Jeeps, der ihn auf dem Fahrersitz wie auch uns auf der bereits vertrauten Ladefläche binnen weniger Minuten durch das halbe Dorf hindurch zu einem großen runden Platz, dessen Mittelpunkt eine einsam stehende betonumrandete gußeiserne Handpumpe bildete.

Maik hüpfte aus dem Jeep und deutete uns daraufhin mit einer einzigen zackigen Handbewegung an, ebenfalls abzusteigen. Dann schritt er mit uns auf die Pumpe zu, an deren Fuß er eine der dort bereitstehenden Blechtassen aufnahm und sie unter den Wasseraustritt hielt, während er mit der rechten Hand den Pumpenschwengel bediente. Dazu bemerkte er: "Eine einfache Konstruktion, bei der ein Kolben über zwei Ventile im ersten Takt Wasser im Pumpzylinder ansaugt und es dann im zweiten Takt über den Wasserhahn hinausbefördert". Ich nickte eifrig: "Solche Pumpen gehörten für mich als kleiner Steppke in den Nachkriegsjahren in Berlin mit zum Alltag". Ein Schwall kühlen, klaren Wassers ergoß sich in diesem Moment in das von Maik bereitgehaltene Blechgefäß, aus welchem er erst selbst einen ordentlichen Schluck nahm und das er dann, nachdem er den Rand mit einem sauberen Stofftaschentuch aus seiner Hose kurz abgewischt hatte, an Yelena und mich weiterreichte. Während wir selbst jeder nur einen winzigen Schluck des belebenden Nasses durch unsere bei den Temperaturen hier stets rasch wieder trockenwerdenden Lippen beförderten, vermeldete Maik mit sichtlich stolzgeschwellter Brust: "Noch vor wenigen Monaten mußten die Bewohner von Mila-Bosa Tag für Tag mit Eimern und Schüsseln auf dem Kopf einen Fußmarsch von mindestens zehn Kilometern auf sich nehmen, um zu einer Wasserstelle zu gelangen. Das trübe, schmutzige und häufig mit Parasiten behaftete Wasser aber teilten sie sich mit Flußpferden, Krokodilen, Löwen und Hyänen, welche dort dann meist noch ein ausgiebiges Bad zu nehmen pflegten. Kurzum: Die Brühe aus dem Tümpel dort war im Grunde genommen nahezu ungenießbar und konnte leicht zu schweren Erkrankungen oder - wenn jemand eh schon stark geschwächt war - im schlimmsten Fall sogar zum Tode führen. Gemeinsam mit den Einwohnern haben wir dann direkt nach Ende des Jumaregimes begonnen, einen Brunnen zu bohren und darauf diese Handpumpe mit einer einfachen zwischengeschalteten Filteranlage anzubringen. Sie schenkt dem Dorf nun mit jedem einzelnen Pumpen einen ganzen Schwall gesunden klaren Wassers. Ein wahrer Segen, oder?!". Mit diesen Worten stellte Maik die mittlerweile bis zur Neige geleerte und ihm von mir wieder überantwortete Blechtasse wieder am Fuße der Pumpe ab und begab sich sodann raschen Schrittes zurück zum Jeep. Yelena und ich aber folgten ihm sichtlich beeindruckt und bestiegen erneut die Ladefläche. Wieder fuhren wir einige Minuten quer durch das halbe Dorf, diesmal allerdings durch die andere Hälfte, bis hin zu einem großen steinernen Gebäude mit einem roten Ziegeldach am der Hütte unseres Reisebegleiters entgegengesetzten Dorfrand.

Voller Stolz präsentierte uns Maik nach dem dortigen Verlassen des Jeeps besagten Bau als die örtliche Schule, an deren Errichtung er gemeinsam mit den Dorfbewohnern bis vor gut einem Monat noch recht aktiv mitgewirkt hatte und in deren Räumlichkeiten jetzt bis zu 120 Jungen und Mädchen Lesen, Schreiben und Rechnen, aber auch Singen und ausdrucksvolles Tanzen erlernen würden. Für die Unterrichtsmittel und die Ausbildung einheimischer Lehrkräfte sorgte dabei das Hilfswerk "Engel auf Erden" über die bei ihm eingehenden Spenden. Das Schulgeld von etwa einem Euro im Monat finanziere sich dann bei vielen der Kinder aus deren Patenschaften. Und den Ärmsten der Armen, für die sich bislang noch kein Pate im Ausland gefunden habe, würde es ganz erlassen. Der Blick auf Maiks Armbanduhr zeigte 7 Uhr 24 und damit auch, daß der Unterricht hier bereits in vollem Gange war. Und so betraten wir zu dritt das Schulgebäude, wo wir in der Folge als Gäste in den Genuß einer kleinen Unterrichtseinheit kamen. Bei unserem Eintreffen in einem der schlichten, aber sehr geräumigen Klassenzimmer rief die junge Lehrerin, die zu unserer Verwunderung in einem Umhangtuch sogar ein Baby auf dem Rücken mit sich herumtrug, nachdem sie uns sehr herzlich begrüßt und willkommen geheißen hatte, einen kleinen Jungen an die Tafel. Sie flüsterte ihm dabei etwas ins Ohr, woraufhin der Junge lächelnd nickte und mit einem Stück Kreide einen kurzen Satz zu schreiben begann, der da lautete: "Emoclew ni Mila-Bosa, Sessim dna Retsim Svensson!". Die Lehrerin aber bedankte sich bei dem kleinen Jungen und erklärte uns, daß jener Satz an der Tafel auf Sangalesisch nichts anderes bedeute als: "Willkommen in Mila-Bosa, Misses und Mister Svensson!". Maik sah zu mich und meine Frau kurz an, dann aber trat er ganz nahe an Yelena heran und hauchte ihr etwas ins Ohr, woraufhin sie - an die Mädchen und Jungen in der Klasse gerichtet - sprach: "Uoy teem ot ecin!". Ein wenig unsicher schaute sie erst zu Maik, dann zu der Lehrerin hinüber - die aber nickten beide eifrig. Und aus den Reihen der Kinder schlug ihrer, in meinen Ohren so fremdartig anmutenden Ausführung sogleich einstimmiger Beifall entgegen. Maik aber trat unauffällig auf mich zu uns raunte mir leise zu: "Deine Frau hat schlicht und ergreifend erwidert, daß ihr Beide euch über das Zusammentreffen mit den Kindern hier freut!". Dem aber konnte ich mich nur voll uns ganz anschließen, und so versuchte ich meiner besseren Hälfte nachzueifern, indem ich - ihre Worte aus dem Gedächtnis heraus so originalgetreu wie nur möglich nachahmend - verlautbarte: "Uoy tae ot ecir!". Statt dem erwarteten Applaus aber erntete meine Äußerung aus sämtlichen Bankreihen erst blankes Entsetzen und dann schallendes Gelächter. Den Grund hierfür erläuterte mir nur wenige Sekunden später der ebenfalls laut losprustende Maik, indem er übers ganze Gesicht grinsend vermeldete: "Tja, was Du den Kindern mit Deinem einzigartigen Versprecher gerade vollmundig versprochen hast, war Reis, um sie zu essen, Du heimlicher Kanibale Du!". In diesem Moment aber war es auch um mich geschehen, und so stimmte ich in das ansteckende Gelächter meiner Umgebung ein. Es dauerte hinfort noch ein paar Minuten, doch dann kehrte wieder die gewohnte schöpferische Ruhe im Klassenraum ein. Die Lehrerin vermittelte ihrer etwa dreißigköpfigen Klasse, an der Tafel wie auch von Zeit zu Zeit durch die Reihen schreitend, geduldig den Unterrichtsstoff, während die Schulkinder im Wechsel andächtig lauschten, eifrig blätterten und mitschrieben und hin und wieder ihre kleinen Hände zu einer Zwischenfrage oder zur Abgabe einer Antwort hoch in die Luft erhoben. Mit Feuereifer war ein jedes von ihnen hier bei der Sache. Man spürte, wie wißbegierig sie waren und wieviel Spaß sie am Lernen hatten. Zum Abschluß der Unterrichtsstunde nahm die ganze Klasse um uns herum Aufstellung. Die Jungen sangen für uns ein Lied, und die Mädchen führten einen selbstkreirten Tanz dazu auf. Yelena und mir standen dabei die ganze Zeit über Tränen der Rührung in den Augen. Längst hatten wir all die Kinder hier mit ihrer lebensfrohen Art fest in unser Herz geschlossen. Nein, man konnte gar nicht anders, man mußte sie einfach gern haben. Und so flehten wir Maik, der uns kurz darauf auf dem Pausenhof zum Aufbrechen mahnte, förmlich an, noch ein wenig bleiben zu dürfen.

Die Bitte wurde uns erfüllt, und so durften wir die zehnminütige Unterrichtsunterbrechung mit den mehr als hundert farbigen Mädchen und Jungen verbringen, die uns in einer Traube umringten. Für die dunkelhäutigen Kinder waren hier wir die Exoten und damit auch eine willkommene Abwechslung in ihrem Alltag. Maik spielte dabei den Dolmetscher, und übersetzte uns all die Fragen, die die Kids an uns hatten ... wo wir denn herkämen, wie es uns nach Sangala im allgemeinen und in ihr Dorf im besonderen verschlagen habe und ob wir nicht vielleicht ein wenig mit ihnen spielen wollen. Passend zu letzterer Frage deuteten die Jungs auf einen abgelederten Fußball im linken Eck des Hofs und die Mädel auf die Wippe am entgegengesetzt gelegenen Ende. Ich schaute auf Maik, der aber warf einen prüfenden Blick auf die Uhr und verkündete dann nickend: "Also gut, ich geb Euch noch zehn Minuten. Lukas dribbelt ein wenig mit den Boys, und Yelena bringt derweil unsere Girls zum Wippen!". Yelena und ich tauschten angesicht dieser Rollenverteilung nur einen einzigen Blick, wobei ich zugleich meine Hände ineinanderlegte und dabei deren Daumen deutlich sichtbar umeinander kreisen ließ. Weiterer Erklärungen bedurfte es bei unserer engen Vertrautheit nicht, und so begaben wir uns schnurstracks zu den Kindern. Ich mit den jungen Damen in Richtung Wippe, und meine Yeli zu den mit dem Ball bereits auf sie wartetenden Jünglingen. Und während ich im ständigen Wechsel jedes der farbigen Mädchen einmal so richtig schön in die Lüfte sausen ließ, beobachtete ich meine Herzensdame, wie sie ihren grazilen Körper über den Platz bewegte und mit dem bestens unter Kontrolle gebrachten Ball am Fuß auf dem Zuckersandboden bei den Knaben so richtig Staub aufwirbelte. Ein jeder der Jungs wollte von ihr angespielt werden, und jeder von ihnen gab den Ball dann auch sofort wieder an sie zurück. Das Spiel auf das gegnerische Tor schien dabei völlig in Vergessenheit geraten. Alle Augenpaare waren nur auf eins gerichtet, und das war keinesfalls der Ball ... sondern vielmehr diejenige, die ihn ununterbrochen abspielte und wieder zurückerhielt. Ich kannte dieses Gefühl selbst nur allzugut. In Yelenas Gegenwart verlor nunmal alles ringsumher völlig an Bedeutung. Ihr bezauberndes Wesen zog einen sofort in seinen Bann, so daß man alles andere ganz einfach vergaß. Bei ihr fühlte man sich rundum geborgen - eine komplett sorgenfreie Art von Geborgenheit, wie sie sonst wohl nur ein Ungeborenes im Schoße der Mutter zu empfinden vermag. Ja, genau dafür liebte ich sie so sehr, und eben deshalb war ich mit ihr auch jenen heiligen Bund der Ehe eingegangen.

Zehn Minuten sind schnell um, wenn man sie in so unterhaltsamer Gesellschaft verbringt wie wir, und so fanden wir uns alsbald - vom Blick etwa 200 trauriger Kinderaugen verfolgt, deren Besitzerinnen und Besitzer uns noch lange nachwinkten, auf der Ladefläche unseres Jeeps wieder, den sein Fahrer nunmehr erneut durch das Dorf hindurch wieder in Richtung der eigenen vier Wände lenkte. Irgendwie erschien mir Maik dabei seit unserem Aufbruch vom Schulhof deutlich verändert. Sein Gesichtsausdruck war trotz der herzlichen Verabschiedung durch die Schulkinder und ihre Lehrerin geradezu versteinert geblieben. Und auch uns gegenüber war der sonst so redselige Mann mit einem Male ziemlich wortkarg. Und so konnte ich letztlich nicht umhin, mich nach unserem Ankunft an der heimatlichen Hütte bei ihm zu erkundigen, was ihn wohl bedrücke. Erst druckste er noch ein wenig herum, dann aber meinte er: "Es gab da eben, als ihr euch mit den Kindern beschäftigt habt, einen Anruf auf meinem Handy. Die Organisation möchte, daß ich in den nächsten Stunden wieder einmal im von uns bislang noch nicht betreuten Nachbardorf Buli-Mia nach dem Rechten schaue. Und es wäre mir lieb, wenn Yelena und Du solange hier bleiben und auf meine Rückkehr warten würdet! Es könnten mich dort nämlich, na sagen wir mal, ein paar recht unschöne Dinge erwarten, denen ihr Zwei sicher nicht gewachsen wärt!". Yelena, die während Maiks eindringlichen Worten an mich unbemerkt zu uns herangetreten war, aber erwiderte daraufhin recht empört: "Junges Mann, was Du denken von Luki und mich?! Wir als verwöhntes Europaer nur mit Dir gekommen zu haben schönes Ferien in sonniges Afrika?! Dann aber Du Dich sehr irren! Wir auch hier, zu sehen schattiges Seite von Leben in Sangala. Stimmt, Luki?!". Mit meinem kurz ausgesprochenen Jawort pflichtete ich ihren Ausführungen bei. Und was tat Maik?! Nun, er konnte bei solch geballter Svenssonpower wohl letztlich gar nicht anders, als schulterzuckend kleinbeizugeben, uns wieder aufsitzen zu lassen und uns mit auf die Reise ins 24 Kilometer weiter nördlich gelegene Buli-Mia mitzunehmen ...

[Wird fortgesetzt]

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Claudia (7. Dezember 2012, 19:18), Angel (7. Dezember 2012, 14:19)

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14

Samstag, 8. Dezember 2012, 20:22

INSPEKTOR SVENSSON: FLITTERWOCHEN-TAGEBUCH
Eintrag 14


27. September 2009. Gastspiel in Sangala. Dritter und letzter Abschnitt.

Unsere Fahrt dauerte wohl schon eine gute halbe Stunde, und obwohl es mittlerweile hellichter Tag war, konnte ich mich die ganze Zeit über einfach nicht des Eindrucks erwehren, als wäre Maiks Fahrweise - da, wo die unwegsame Zuckersandpiste dies zuließ - diesmal genauso gehetzt, wie sie es in der Nacht zuvor auf dem von ihm im Nachhinein als unsicher beschriebenen Weg in sein Heimatdorf gewesen war. Es entging meinem geschulten Auge dabei auch keineswegs, wie verkrampft seine Hände das Lenkrad umklammerten und wie sehr seine Stimme bebte, als er mir - den Augenkontakt zu Yelena und mir streng vermeidend - auf wiederholte Nachfrage bezüglich unseres Zielortes kurz und knapp erklärte, Buli-Mia sei eben ein Dorf wie so viele andere hier in Sangala und dem Rest Afrikas, in dem seine Organisation bislang aufgrund ihrer begrenzten Mittel noch nicht aktiv werden könne.

Irgendwann kam ein kleines wüstes Tal in Sichtweite, aus dessen Sohle überall kleine und große Rauchsäulen aufstiegen, die weithin einen beißenden und zugleich muffigen Gestank verbreiteten. Ein rostiges Müllauto kam uns beim Näherherankommen aus dem Innern des Tals entgegengetuckert, wobei dessen Fahrer - kaum daß er uns und das große "Engel auf Erden"-Logo auf Maiks Kühlerhaube erblickt hatte - seinen Kopf schlagartig zu der uns abgewandten Seite drehte, fast so, als wolle er es um jeden Preis vermeiden, erkannt zu werden. Aber auch Maik verhielt sich in der Folge beim weiteren Annähern an das Tal ausgesprochen merkwürdig, versuchte er doch - vom eigentlichen Straßenverlauf immer deutlicher abweichend - jene natürliche Vertiefung im Gelände scheinbar möglichst weiträumig zu umfahren. Nichts desto trotz gelang es mir, just da wir dem Tale am nächsten kamen, einen kurzen Blick in dessen Inneres zu erhaschen. Und was ich dort erblickte, ließ mir fast noch mehr den Atem stocken, als es der auf uns einströmende Rauch ohnehin schon tat. Da türmten sich nämlich nicht nur Berge von Müll - nein, inmitten dieser Abfälle bewegte sich auch ein gutes Dutzend farbige Kinder in Lumpen gehüllt und stocherte mit Eisenstangen, Stöckern oder gar mit bloßen Händen darin herum. Aufgeregt begann ich von meinem Sitzplatz auf der Jeepadefläche her, dem vor mir am Steuer sitzenden Maik auf die Schulter zu klopfen und brüllte ihm dabei - gegen das Motorengeräusch unseres Fahrzeugs ankämpfend - ins Ohr: "Halt bitte an, Maik! Hörst Du mich nicht?! Du möchtest bitte sofort anhalten!". Ich mußte jene Satzfolge noch dreimal wiederholen, bis der so Angerufene meiner Aufforderung nachkam und den Jeep mit einem beherzten Tritt auf die Bremse ruckartig zum Stehen brachte. Binnen Sekundenbruchteilen sprang ich von der Ladefläche unseres Gefährts herab und lief eiligen Schrittes auf das Tal zu, dicht gefolgt von meiner sichtlich erstaunten Yelena und einem unaufhörlich seinen Kopf hin und her schüttelnden Maik.

Es kostete mich einige Mühe, jenen steilen Sandhang hinunterzulaufen, der in das Tal hineinführte, ohne daß ich dabei ins Rutschen geriet und zu Fall kam. Dennoch gelang es mir irgendwie, und so stand ich wenige Minuten später japsend inmitten von Rauchschwaden, ringsum umgeben von Müll und Dreck neben einem kleinen dunkelhäutigen Jungen, in dessen herunterhängender linker Hand eine breite blutverschmierte Wunde klaffte, während er sich mit der rechten ein kleines durchsichtiges Plastikfläschchen mit einer milchigweißen Flüssigkeit an den leichtgeöffneten Mund hielt. Der Blick seiner glasigen, stark entzündeten Augen aber ging schnurstracks an mir vorbei, scheinbar ins Leere. Aus dem Hintergrund drang mit einem Male Yelenas aufgeregte Stimme an mein Ohr, welche fragte: "Was das sein, was Kind dort haben in Flasche, Luki? Medizin für wundes Hand?". Ich drehte mich zu ihr um und zuckte mit den Schultern, um so auszudrücken, daß ich keine Ahnung hätte. Und doch hatte ich eine Ahnung - eine dunkle Ahnung, die ich mich halt nur nicht auszusprechen getraute. Die tiefe Stimme des inzwischen ebenfalls eingetroffenen Maik war da schon deutlich mutiger: "Nein, das ist keine Medizin, Yelena! Ganz im Gegenteil! Das zähflüssige Zeug in dem Fläschchen ist Schusterleim, den der Knabe dort soeben beim Fahrer des Mülltransporters gekauft hat. Jetzt inhaliert er ihn, um für kurze Zeit einmal alles um sich herum vergessen zu können ... Den Müll hier, in dem er lebt. Den Müll, der ihm beim Wühlen darin auch seine Hand zerschnitten hat und der ihn dabei über kurz oder lang seine Gesundheit, bei einer möglichen Vergiftung oder Infektion vielleicht sogar sein Leben kostet. Aber auch seinen ständigen Begleiter, den Hunger, vermag ihm der Rausch des geschnüffelten Kleisters eine Weile lang zu nehmen, auch wenn er über längere Zeit hinweg schlicht und ergreifend nur eins vermag, nämlich seine Gehirnzellen komplett zu zerfressen. Ach übrigens, der Kleine hat wie jeder hier natürlich auch einen Namen und eine Geschichte. Wollt ihr sie hören?". Yelena und ich nickten stumm. Und Maik sprach zu dem Knaben: "Tel su raeh rouy yrots!". Einen Moment lang dauerte es, bis jene Worte zu dem Jungen in seinem offensichtlichen Dämmerzustand durchdrangen, dann aber begann er leise lallend seine Lebensgeschichte zu erzählen, welche uns Maik jeweils etwas zeitversetzt wie folgt wiedergab: "Der Junge heißt Sharif. Geboren und aufgewachsen ist er mit seinen Eltern in Buli-Mia. Seinen Vater haben die Söldner Jumas schon weit vor dessen Machtübernahme im Land verschleppt und hingerichtet, das Elternhaus wurde in Brand gesteckt. Er lebte fortan auf den Straßen der Hauptstadt mit seiner Mutter, die ihrer beider Lebensunterhalt damit zu bestreiten suchte, daß sie ihren Körper für umgerechnet knapp 15 Cent verkaufte. Irgendwann wurde sie dann krank. Eine lange und schwer verlaufende Krankheit, die sie zusehends schwächte, sagt er. Was er meint, aber nicht ausspricht, ist die Immunschwäche AIDS. Sie hatte sich beim ungeschützten Sex mit einem ihrer unzähligen Freier angesteckt und starb vor etwa 6 Monaten. Jumas Männer machten aus ihm einen Kindersoldaten, den sie von sich abhängig und für ihre Zwecke gefügig machten, indem sie ihn bewußt dem abstumpfenden Einfluß von Drogen und Alkohol aussetzten und ihnen in öffentlichen Hinrichtungen die abgeschlagenen Köpfe ihrer Gegner vorführten. Nach dem blutigen Ende der Rebellenherrschaft aber landete Sharif dann wieder ganz allein auf sich gestellt auf der Straße. Seither lebt der Waisenknabe hier mit seinen Freunden im Müll. Ihn durchstöbern sie täglich aufs Neue nach irgendetwas auch nur ansatzweise Eßbarem und nach wertvollem Eisenschrott, den sie dann bei einem der Müllkutscher gegen eine Tagesration Schnüffelleim oder aber ein paar Knochen aus den Küchenabfällen eines Lokals eintauschen, welche sie dann über offenem Feuer in einer alten Blechdose zu einer kargen Brühe auskochen. Auf diese traurige Art und Weise aber kämpfen sie Tag für Tag ums Überleben. Und wissen doch von Anfang an nur zu genau, daß sie eben diesen Kampf eines Tages unweigerlich verlieren werden". Schulterzuckend senkte Maik seinen Blick, machte auf dem Hacken kehrt und schlurfte dann langsam den Weg zurück, den er zuvor gekommen war. Yelena und ich aber standen noch eine ganze Weile wie angewurzelt neben dem Jungen und schauten uns wie auch ihn, der uns in seinem Rausch vermutlich gar nicht oder zumindest nur schemenhaft wahrnahm, einfach nur an. Eine gefühlte Ewigkeit später aber lösten auch wir uns aus unserer vom Zustand der Fassungslosigkeit wie auch dem verzweifelter Hilflosigkeit gleichermaßen geprägten Erstarrtheit und verließen schluchzend jenes uns zutiefst erschütternde Szenario.

Eine Viertelstunde später saßen wir alle Drei wieder im Jeep - Maik vorn am Lenkrad, Yelena und ich auf der Ladefläche. Die Stimmung aber war und blieb seltsam gedrückt, selbst dann noch, da wir - ohne auch nur ein einziges Wort miteinander gewechselt zu haben - inmitten einer größeren Ansammlung kleinerer notdürftig zusammengenagelter Bretterbuden Halt machten. Zwischen zwei der Holzhütten aber hockte in einer Art unüberdachtem Stall eine farbige Frau mit ihren beiden Kindern, von denen das einzig und allein mit einem ausgeblichenen und stark zerfetzten Kleid umhüllte dürre Mädchen am ganzen Leibe zitternd am Boden kauerte und sich mit großen, aus dem schmalen Gesicht weit hervorspringenden Augäpfeln eine kleine Handvoll Hirsebrei aus einem Plastiknapf in den Mund stopfte. Das andere Kind, einen kleinen Jungen von schätzungsweise anderthalb Jahren trug die Mutter im Arm. Hatte Yelena wie auch mich der Anblick des sichtlich unterernährten Mädchens erneut bereits sehr mitgenommen, so gefror das Blut in unseren Adern in dem Augenblick, da wir des Knaben gewahr wurden, trotz der uns umgebenden Mittagshitze von fast 30 Grad schlagartig. Das kleine Erdenwürmchen, dessen weit offenstehender Mund mit seinen vielfach aufgeplatzten trockenen Lippen regungslos an der schlaff herunterhängenden linken Brust seiner Mutter hing, bestand am gesamten Körper scheinbar nur noch aus Haut und Knochen. Unter einer zähen dunkelbraunen Lederhaut konnte man an Armen und Beinen die Umrisse jedes noch so kleinen Gelenks ganz deutlich erkennen, ebenso wie die einzelnen Rippen des Brustkorbes, aus dessen Innerem linksseitig das Herz in unregelmäßigen Abständen unscheinbar pochend hervortrat und damit auch zugleich das einzig überhaupt noch erkennbare Lebenszeichen des völlig abgemagerten Menschenkindes bildete. Maik strich der Mutter bei unserem Eintreffen kurz über die kahle Schulter, dabei murmelte er nur ein leises: "Ollah!". Dazu aber ergänzte er, an unsere Adresse gerichtet: "Das sind Rabia Ikoko, ihre Tochter Sela und ihr Sohn Bem. Seit einem Jahr habe ich mich bemüht, die gesamte Familie über sie Vermittlung einer Patenschaft für wenigstens eines der beiden Kinder in mein Heimatdorf zu überführen, um ihnen dadurch den Zugang zu frischem Wasser, ausreichender Ernährung und medizinischer Versorgung zu ermöglichen. Bislang jedoch leider ohne Erfolg. Und nun ...". Er stockte kurz in seinen Ausführungen, wobei er seine linke Hand dem Knaben im Arm seiner Mutter behutsam auf die trockene Kopfhaut legte und sich mit dem haarigen rechten Unterarm zugleich mehrmals über die Augenpartie seines uns abgewandten Gesichts zu wischen begann. Und mit zittriger, ja zwischendurch immer wieder fast ersterbender Stimme fuhr er schließlich fort: "Nun ja, es war von Beginn an ein Wettlauf mit der Zeit. Einer, den wir leider Gottes heute zu verlieren scheinen".

Mit diesen Worten löste er seine aufgelegte Hand vom Kopfe des Jungen und trat einen Schritt zurück. Er faltete seine Hände vor der Brust ineinander, erhob den Blick gen Himmel in Richtung der soeben hinter einer großen grauen Wolke verschwindenden Sonne und schloß die Augen. Seine Lippen aber begannen, sich minutenlang ununterbrochen zu bewegen, ohne daß auch nur ein hörbarer Laut sie verließ. Über uns verdunkelte es sich schlagartig. Donner grollte und alsbald zuckte auch der erste Blitz am Himmel auf. Ein Unwetter braute sich zusammen - doch nicht nur über uns, sondern auch direkt vor unseren Augen. Denn just in dem Moment da ein erster Regentropfen vom Himmel her auf meiner Nasenspitze aufschlug, versiegte zu meinem Entsetzen zugleich mit einem Schlag auch noch das letzte schwache Pochen im Brustkorb des kleinen Bem. Sein Lippenpaar weitete sich, da es sein letztes Fünkchen Leben aushauchte und entließ damit auch die mütterliche Brust aus seiner bislang anhaltenden verzweifelten Umklammerung. Die Mutter selbst aber strich ihrem leblosen Kinde noch einmal zärtlich übers haarlose Haupt, dann legte sie den kleinen Leichnam behutsam ins feuchte Stroh und bedeckte ihn geradezu liebevoll vollständig mit dem von ihrem Kopfe abgewickelten Seidenkopftuch. Ich konnte bei diesem Anblick einfach nicht länger an mich halten und ließ meinen verzweifelten Tränen freien Lauf. Auch Yelena schluchzte und weinte neben mir gar bitterlich, aber als ich sie tröstend und trostsuchend zugleich in den Arm schließen wollte, entzog sie sich mir urplötzlich und lief stattdessen scheinbar völlig außer sich auf Maik zu. Ihre sonst so zarten, liebevollen Hände ballten sich dabei zu Fäusten und trommelten schließlich gegen die Brust unseres jungen Freundes, wozu sie wutentbrannt ausrief: "Wie konntest Du das nur zulassen? Warum um alles in der Welt hast Du denn nichts unternommen?". Maik schaute sie mitleidig an und ließ sie eine Zeitlang gewähren. Erst als ihr Einschlagen auf ihn langsam an Intensität nachließ, ergriff er vorsichtig ihre Unterarme und erklärte: "Was hätte ich denn Deiner Meinung nach hier noch tun sollen? Der Junge lag doch schon bei unserem Eintreffen hier im Sterben. Einen Arzt gibt es hier weit und breit nicht, ebensowenig wie etwas, um ihn in seinem geschwächten Zustand wieder aufzupeppeln. Und auch einen Transport hätte er nie und nimmer überlebt. Nein, alles, was in meiner Macht stand, das hab ich auch getan, indem ich, solang es überhaupt noch Hoffnung gab für das Kind, Tag für Tag geradezu fieberhaft nach einem Paten für den kleinen Bem oder sein Schwesterchen suchte. Aber ein Mensch allein kann nunmal nicht die ganze Welt retten". Schluchsend senkte sich Yelenas hochrotes und von Tränenbächen überflutetes Gesicht auf die eben noch so kräftig maltretierte Brust Maik L. Lendens. Der aber strich nun auch ihr behutsam übers Haar, wie er es kurz zuvor mit dem nunmehr verschiedenen Kinde getan hatte. Und angesichts der Tatsache, daß vor unseren Augen die Mutter des toten Jungen dessen kleine, vor Hunger und Traurigkeit über den Verlust des Bruders gleichsam weinende Schwester fest in ihre Arme schloß, sprach Maik mit fester Stimme: "Ein altes sangalesisches Sprichwort sagt: Du ehrst das Andenken an die Toten am meisten dadurch, daß Du Dich in ihrem Namen fortan den Lebenden mit noch größerer Kraftanstrengung zuwendest! Und darum verspreche ich hier und heute vor Gott und der Welt im Angesicht des Verstorbenen und seiner Mutter hoch und heilig, daß ich einen Paten für Sela finden werde". Und er erhob dabei Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand wie zum Schwur hoch in die Luft.

Einen Moment lang herrschte andächtige Stille. Dann aber faßte ich mir ein Herz, indem ich mich zu Wort meldete und verlautbarte: "Maik, mein Freund, Du hast ihn schon gefunden! Natürlich nur, wenn meine Frau nichts dagegen hat". Yelena riß ihr bislang noch immer an Maiks stattlicher Brust ruhendes Haupt ruckartig herum und starrte mich völlig entgeistert an. Dann aber sprang sie förmlich auf mich zu, schloß meinen Kopf mit ihren längst wieder geöffneten Handflächen fest ein und bedeckte schließlich mein Antlitz mit unzähligen Küssen. Ihren gerade erst versiegten bitteren Tränen folgten dabei nunmehr Tränen der Freude nach. Und während sich die dunkle Wolke über uns langsam wieder verzog, um den Blick auf die helle Sonne freizugeben, schluchzte Yelena: "Ach Luki, jetzt wir also auch noch gemeinsam bekommen ein Kind! Und kleines Sela werden leben mit Mutti in schönes Dorf mit klares Wasser und gutes und reichlich Essen, gehen zu Schule und lernen für besser Leben". Maik aber beglückwünschte uns zu unserem Entschluß und versprach uns, gleich am nächsten Tag alles Notwendige für die Übernahme der Patenschaft und eine damit verbundene Übersiedlung der beiden Ikoko-Frauen nach Mila-Bosa in die Wege zu leiten. Die folgende Mittagsstunde verbrachten wir dann damit, dem toten Brüderchen unserer zukünftigen Patentochter in einem gemeinsam ausgehobenen Erdloch am Fuße eines Baumes eine würdevolle Bestattung zuteil werden zu lassen. Anschließend verabschiedeten wir uns von Mutter Rabia und Töchterchen Sela, die uns Beide sichtlich gerührt und zum Teil immer wieder in Tränen aufgelöst noch Dutzende Male auf Sangalesisch ihren tiefempfundenen Dank aussprachen.

Die ganze Heimfahrt über aber hockten Yelena und ich eng aneinander gekuschelt händchenhaltend auf der Ladefläche des Jeeps, in welchem uns Maik nun in raschem Tempo wieder zurück nach Mila-Bosa brachte. An der Hütte unseres Gastgebers angekommen, legten wir uns für den Rest des Nachmittags ein wenig hin und holten nach der recht kurzen Nacht sowie all den nervenaufreibenden Erlebnissen der ersten Tageshälfte ein wenig Schlaf nach, während Maik mit seinem Handy einige Telefonate erledigte und dann mit dem Rat der Dorfältesten gemeinsam einen Plan für die kulturelle Gestaltung des kommenden Abends ausarbeitete. Als wir dann von unserem verspäteten Mittagsschlaf wieder erwachten, dämmerte es draußen schon ein wenig. Maik kehrte gerade von seiner Unterredung zurück und lud uns ein, den anbrechenden Abend mit ihm und dem Rest der erwachsenen Bewohnerschaft im Dorf zu verbringen. Und so begaben wir uns dann auch gemeinsam raschen Fußes zum großen Dorfplatz mit der Handwasserpumpe in seiner Mitte. Hier wurden wir schon von etwa 60 dunkelhäutigen Frauen und Männern empfangen, die uns aufs Herzlichste willkommen hießen. Ein knappes Dutzend von ihnen hatte kelchförmige, aus ausgehöhlten Baumstämmen gefertigte und mit getrockeneten Ziegenhäuten bespannte kelchförmige Trommeln bei sich, die sie im weiteren Verlauf des Abends einzig und allein mit ihren bloßen Händen kunstfertig im Gleichtakt beschlugen. Djembe nannten sie jene Instrumente, deren eingehend rhythmischer Klang einem sofort in Fleisch und Blut überging und einen dadurch quasi wie von selbst zum Tanzen einlud. So dauerte es an jenem Abend unter dem Einfluß einiger Becher Bananenbier nicht allzu lange, bis auch Yelena und ich Arme, Beine und Hüften zum Rhythmus der Trommeln zu schwingen begannen. Dabei bewegten wir uns ganz gewiß nicht immer im Takt, aber eben auch nie völlig taktlos. Und wie wir nun so tanzten, merkten wir gar nicht, wie rasch in dieser amüsanten Gesellschaft die Zeit verging. Im Gegenteil: Wir waren sogar sehr erstaunt, als Maik uns mit einem Fingerzeig auf die Armbanduhr an seinem Handgelenk zum Aufbruch drängte. Bedächtigen Schrittes ging es nach kurzer Verabschiedung von der Dorfbevölkerung zurück zur Hütte unseres Gastgebers, wo wir rasch unsere Koffer zusammenpackten und auf den Jeep luden. Und während wir dann chauffiert von Maik im Anschluß noch einmal quer durchs Dorf in Richtung Hauptstadt fuhren, bekannte meine Yelena beim Anblick der noch immer völlig ausgelassen feiernden Menge mir gegenüber: "Liebes Luki, ich vorher nicht konnte verstehen, wie eine Mensch, das erleben täglich so viel schreckliches Dinge, danach noch können sein fröhlich. An heutiges Tag aber ich haben begriffen, daß nur der verstehen zu feiern aus volles Herz, wer haben auch schon gesehen mit eigenes Auge tiefes Abgrund von menschliches Leben". Ach ja, welch kluge Frau ich da doch an meiner Seite hatte!

Es war 23 Uhr 54 Ortszeit, als wir den Zentralairport von Jumanja erreichten. Mit unseren Koffern in der Hand begleitete uns Maik ins Innere des Flughafengebäudes, wo wir uns zunächst einmal an einem der Schalter über unseren Weiterflug informierten. Die freundliche junge Dame dort erklärte uns, daß der Flieger nach New York pünktlich um 2 Uhr 41 Uhr von Gate 7 aus starte und daß ein Einchecken frühstens eine Stunde davor möglich sei. Das Ganze notierte sie zudem noch einmal auf der Rückseite einer ihrer Flughafen-Infobroschüren, die sie mir alsdann freundlich lächelnd übergab. Es blieben uns damit noch mehr als anderthalb Stunden, was Maik sogleich auf eine Idee brachte. Und so ließ er uns samt unseren Koffern noch einmal auf seinem vorm Flughafengebäude geparkten Jeep platznehmen und kutschierte uns mit quietschenden Reifen ein paar Querstraßen weiter zu einem Gebäude, dessen Leuchtschrift über dem Eingang neonfarben verkündete: "Hotel International". Im Innern des Hotels ließen wir uns vom Lift und dem zugehörigen Boy in die Kelleretage befördern und steuerten dann unter Maiks Führung schnurstracks eine scheinbar ausgebaute Besenkammer zu, an deren Holzür ein schlichter Zettel mit der Aufschrift "Sangalesische Vertretung des Engel auf Erden e.V." haftete. Unser Begleiter klopfte hier mehrmals recht stürmisch an, bis uns von einer gähnenden Blondine im Seidennachthemd geöffnet wurde, welche uns Maik sichtlich erfreut über ihren freizügigen Anblick als seine Kollegin Victoria French vorstellte. Victoria hingegen schien weit weniger begeistert über unseren mitternächtlichen Überfall. Sie warf sich rasch einen gestreiften Herrenbademantel über und bat uns dann herein, wozu sie Maik zähneknirschend anknurrte: "Sag mal, spinnt ihr! Ich muß in weniger als 6 Stunden raus aus den Federn, weil ich an einer Besichtigung der ehemaligen Amerikanischen Schule in Okavango teilnehmen will, die nach ihrer völligen Zerstörung durch Jumas Rebellen und dem von uns betreuten Wiederaufbau unter ihrem neuen Namen 'Carl Benton School' ihren Schulbetrieb nun endlich wieder aufnimmt. Also raus mit der Sprache, was willst Du? Mit welcher Begründung störst Du meinen Schönheitsschlaf!". Maik hingegen winkte nur ab: "Schönheitsschlaf?! Humbug! Den hast Du doch gar nicht nötig". Das in dieser Formulierung recht unverhüllt enthaltene Kompliment trieb der blutjungen blonden Schönheit nicht nur ein wenig zusätzliche Röte ins ungeschminkte Antlitz - nein, sie besänftigte das aufgeweckte Wildkätzchen auch wieder ein wenig, so daß Maik dem vorher Gesagten kurzerhand lächelnd hinzufügte: "Vicky, also das sind meine Freunde, die Svenssons. Sie waren heute mit mir gemeinsam auf Achse und möchten eine Patenschaft für die kleine Sela Ikoko übernehmen. Ist das nicht toll?!". Mit einem Male war nun auch die Blondine mit dem Schlafzimmerblick hellwach und rief begeistert: "Oh ja, das grenzt ja schon fast an ein Wunder. Dann kann doch die ganze Familie auch endlich zu uns nach Mila-Bosa übersiedeln, so wie wir es schon immer gewollt haben, oder?!". Maiks Lachen verschwand mit einem Male wieder, und leise merkte er an: "Leider trifft das nur noch auf Sela und ihre Mutter Rabia zu. Das Herz des kleinen Bem hat nämlich heute mittag in unserem Beisein für immer aufgehört zu schlagen!". Dann verstummte er ganz, und stand nur noch da wie ein kleines Häufchen Elend. Seine Kollegin Vicky aber konnte bei diesem Anblick gar nicht anders, als ihn liebevoll trostspendend in den Arm zu nehmen, wozu sie leise in sein Ohr hineinhauchte: "Also, wenn Du jemanden zum Darüberreden suchst, ich hör Dir gern zu! Du weißt ja, ich bin immer für Dich da!". Maik nickte und sprach: "Wenn ich darf, dann komm ich heut nacht gern darauf zurück, aber zuerst muß ich noch meine beiden Freunde hier zurück zum Flughafen bringen". Victoria blinzelte ihrem Kollegen unauffällig zu und erwiderte, während sie Yelena und mir zum Abschied die Hand reichte: "Alles klar, dann bis gleich, Maik! Ihnen Beiden aber wünsche ich eine Gute Reise! Und ich häng mich erstmal gleich ans Telefon und mach bis zu Maiks Rückkehr schonmal die Formalitäten für Ihren Patenschaftsantrag klar. Wenn Sie mir vielleicht noch Ihre Adresse dalassen könnten, damit unser Büro in der Schweiz weiß, an wen man die Unterlagen schicken darf?!". Ich notierte noch rasch unsere Londoner Wohnanschrift auf der Rückseite einer mir von Maik überreichten Visitenkarte. Im Anschluß daran aber brachen wir wieder auf zum Flughafen, wo wir uns mit einer innigen Umarmung dann auch von unserem neuen sangalesischen Freund Schweizer Herkunft verabschiedeten.

Da Yelena und mir nach Einnahme unserer Sitzplätze im Flieger bis zu dessen geplantem Abflug in Richtung New York noch etwas Zeit blieb, nahm ich kurzerhand die mir von der Schalterdame im Flughafen zuvor überreichte Broschüre und begann, gemeinsam mit meiner mir zur Seite sitzenden Herzensdame, ein wenig darin zu lesen. An einer bestimmten Aussage zur Geschichte des Flughafens aber blieben unser beider Blicke geradezu magisch haften. Wieder und wieder überfolgen wir ihn, jenen Satz, der da lautete: "Im August 2009 aber erhielt der zentrale Airport unserer sangalesischen Hauptstadt auf Anregung des alten neuen Premierministers Matobo mit breiter Zustimmung in der Bevölkerung seinen neuen Namen "J.B. International Airport", wobei J.B. für die Initialen jenes Mannes stehen, der durch sein selbstloses Handeln 14 sangalesischen Kindern wie auch unserem Premier selbst das Leben rettete - dem Volkshelden unseres Landes und amerikanischen Staatsbürger Mister Bauer!". Meine Güte, das mußten wir jetzt aber unbedingt unserem gemeinsamen amerikanischen Freund Jack berichten. Also auf nach New York!

[Wird fortgesetzt]

Das afrikanische Land Sangala gibt es natürlich in Wirklichkeit gar, es war vielmehr ursprünglich eine Erfindung der 24-Autoren, und stellt in meiner Geschichte nunmehr ein Sammelsurium verschiedenster afrikanischer Staaten und ihrer Kulturen dar. Und auch die Schweizer Hilsforganisation "Engel auf Erden" ist zugegebenerweise von mir frei erfunden. Dennoch orientiert sie sich zum Teil an der tatsächlich existierenden internationalen Hilfsorganisation "World Vision", deren deutscher Zweig www.worldvision.de auch Kinderpatenschaften auf die genannte Art und Weise vermittelt. Ich beispielsweise bin bei meinen Recherchen zur Sangalareise meiner Figuren über die Webseite von World Vision gestolpert und entschloß mich spontan, für nur umgerechnet 1 Euro pro Tag die Patenschaft für ein siebenjähriges Mädchen aus Burundi zu übernehmen. Und obwohl es sonst eher nicht meine Art ist, die Werbetrommel für irgendwelche Vereinigungen zu rühren, so hoffe ich doch, daß sich einige unter Euch sich einmal genauer über diese interessante Variante des aktiven Helfens informieren und vielleicht sogar, wie ich, das Abenteuer einer Kinderpatenschaft wagen. Ich bin mir sicher, es lohnt sich für beide Seiten. Für das Kind allemal, dem damit neben einer ausreichenden Ernährung, der Besuch einer Schule und der Zugang zu medizinischer Grundversorgung gesichert werden können, aber auch für den Paten, der durch die Förderung des engen Kontaktes zu seinem Patenkind zugleich auch mehr über dessen Heimat und die Leute, die dort leben, erfährt. Ich würde mich jedenfalls freuen, wenn mein Beispiel auf diesem Wege noch den einen oder anderen Nachahmer findet! LG Euer Sven

+++ CRIMINAL MINDS +++ DALLAS +++ CASTLE +++ DOCTOR WHO +++ 24 +++

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Angel (8. Dezember 2012, 22:55)

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